Die durch COVID-19 bedingten neuen Gesetze und ihre Bedeutung für Pflegeeinrichtungen

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Betreiber von Pflegeeinrichtungen und Anbieter ambulanter Pflegedienste sind in besonderem Maße von den Auswirkungen des neuartigen Coronavirus (COVID-19) betroffen, denn ältere und pflegebedürftige Menschen gehören zu demjenigen Personenkreis, der durch COVID-19 einem besonders hohen Gesundheitsrisiko ausgesetzt ist. Die in der Pflege tätigen Personen können nicht zum Eigenschutz und besseren Schutz der Pflegebedürftigen zu Hause bleiben und von dort ihre Arbeit fortsetzen. Das Personal ist vielmehr weiterhin dem täglichen Kontakt mit einer Vielzahl von Personen ausgesetzt, z.T. sogar verstärkt und häufiger als üblich, da Personal ausfällt oder Pflegepersonen Aufgaben übernehmen müssen, die sonst von Angehörigen oder sonstigen außenstehenden Dritten übernommen werden.

Am 27. März 2020 sind eine Reihe Gesetzesänderungen in Kraft getreten, die u.a. einen verbesserten Schutz von Pflegebedürftigen sowie den Schutz, die Entlastung und Unterstützung von Betreibern stationärer und ambulanter Pflegeeinrichtungen und ihres Pflegepersonals zum Ziel haben. Die Gesetzesinitiativen wurden in derselben Woche – am 24. und 25. März 2020 – von den Regierungsfraktionen in den Bundestag eingebracht. Bereits am 25. März 2020 wurde das Gesetzespaket im vereinfachten Verfahren an die Ausschüsse verwiesen. Zwei Tage später, am 27. März 2020, hat sowohl der Bundesrat – wo notwendig – seine Zustimmung erteilt, als auch der Bundespräsident die Gesetze unterzeichnet. Noch am 27. März 2020 sind die Gesetze im Bundesanzeiger veröffentlicht worden und damit in Kraft getreten. Bestandteil des Gesetzespaketes sind folgende Gesetze, die für den Pflegebereich eine besondere Rolle spielen: das Gesetz zum Ausgleich COVID-19 bedingter finanzieller Belastungen der Krankenhäuser und weiterer Gesundheitseinrichtungen (COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz), das Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite sowie ein Sozialschutz-Paket, das als Gesetz für den erleichterten Zugang zu sozialer Sicherung und zum Einsatz und zur Absicherung sozialer Dienstleister aufgrund des Coronavirus SARS-CoV-2 verabschiedet wurde.

Was die genannten drei Gesetze für Pflegeeinrichtungen, ihre Bewohner und ihr Pflegepersonal – auch unter Berücksichtigung der z.T. nur regional geltenden COVID-19 bedingter (Sonder-)Regelungen – bedeuten, ist Gegenstand dieses Beitrags.

COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz

Die Pflegeverbände und das Bundesgesundheitsministerium hatten sich bereits am 19. März 2020 auf einen Maßnahmenplan zur Herabsetzung des Infektionsrisikos für Pflegebedürftige und der in der Pflege tätigen Beschäftigten sowie zur Entlastung von Pflegeeinrichtungen und ihren Pflegekräften geeinigt. Die meisten der in diesem Plan beschlossenen Maßnahmen wurden durch das COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz verbindlich umgesetzt.

Das COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz sieht u.a. die folgenden Ergänzungen und Änderungen des Sozialgesetzbuches XI (SGB XI) vor:

  • Nach dem § 151 SGB XI n.F. (einer von sechs Paragraphen, die als Teil eines neuen Dritten Abschnitts „Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der pflegerischen Versorgung während der durch das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 verursachten Pandemie“ als Übergangsvorschriften am Ende des SGB XI eingefügt wurde) werden bis einschließlich 30. September 2020 keine qualitätsbezogenen Regelprüfungen in Pflegeheimen durchgeführt. Gemäß § 275b Abs. 4 SGB V n.F. gibt es eine entsprechende Regelung auch für ambulante Pflegedienste.Die Qualitätsprüfungen durch die Mitarbeiter des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) bedeuten für Pflegebedürftige und Personal ein erhöhtes Infektionsrisiko. Diesem erhöhten Gesundheitsrisiko sollen Pflegebedürftige durch die Aussetzung der Qualitätsprüfungen bis Ende des 3. Kalenderquartals nicht mehr ausgesetzt sein. Durch die Aussetzung der Regelprüfungen wird zudem das Pflegepersonal entlastet und es werden personelle Kapazitäten beim MDK frei, die zusätzlich in der Pflege eingesetzt werden können und sollen.Die Aussetzung der Regelprüfung nach § 151 SGB XI n.F. bzw. § 275b Abs. 4 SGB V kann gemäß § 152 SGB XI und § 275b Abs. 5 SGB V durch eine Rechtsverordnung des Bundesgesundheitsministeriums, die der Zustimmung des Bundesrates bedarf, bis zu einem halben Jahr verlängert werden, gegebenenfalls auch mehrfach. Das Bundesgesundheitsministerium hat zu diesem Zweck rechtzeitig eine Risikobeurteilung in Hinblick auf das Fortbestehen der Infektionsgefahr durch COVID-19 durchzuführen.
  • Durch § 147 SGB XI n.F. wurde § 18 SGB XI, der das Verfahren zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit regelt, angepasst. Eine persönliche Begutachtung eines Antragstellers in seinem häuslichen Wohnbereich findet bis einschließlich 30. September 2020 nun nicht mehr statt.Damit soll das Ansteckungsrisiko auch für diesen Kreis von besonders gefährdenden Personen (die Antragsteller sowie ihre ggf. betagten Angehörigen) verringert werden. Die Gutachter haben die Pflegebedürftigkeit und den Pflegegrad stattdessen vorübergehend anhand der Aktenlage und durch eine telefonische oder digital durchzuführende Befragung der betroffenen Person, ihrer etwaigen Bevollmächtigten und rechtlichen Betreuer sowie von Angehörigen und sonstigen zur Auskunft fähigen Personen (z.B. Ärzte, Nachbarn) festzustellen. Hinsichtlich der Verlängerung des Vorgehens über den 30. September 2020 hinaus, gilt § 151 SGB XI n.F. entsprechend.
  • Nach § 37 SGB V haben pflegebedürftige Personen die Möglichkeit, ihre Pflege im häuslichen Bereich selbst zu organisieren. Zu diesem Zweck können sie bei der Pflegeversicherung Pflegegeld beantragen. Bei Bezug von Pflegegeld sind die Pflegebedürftigen grundsätzlich verpflichtet, bei Pflegegrad 2 und 3 halbjährlich und bei Pflegegrad 4 und 5 vierteljährlich eine pflegerische Beratung in Anspruch zu nehmen und gegenüber der Versicherung nachzuweisen. Diese Pflicht wird durch § 148 SGB XI vorrübergehend ausgesetzt.Für den Zeitraum der ersten drei Quartale 2020 wird das Pflegegeld auch ausgezahlt, wenn keine Beratungsleistung in Anspruch genommen wird. Die Beratung kann jedoch weiterhin in Anspruch genommen werden, wenn die pflegebedürftige Person das wünscht. Die pflegebedürftigen Personen sind über die vorübergehend fehlende Pflicht zur Inanspruchnahme von Beratungsleistungen sowie ihr fortbestehendes Recht zu informieren. Gemäß § 148 S. 2 SGB XI n.F. obliegt es den Pflegekassen und den privaten Versicherungen die Pflegebedürftigen kurzfristig in geeigneter Form darüber in Kenntnis zu setzen.Auch mit der Übergangsregelung des § 148 SGB V sollen pflegebedürftige Personen und ihre Angehörigen vor dem zusätzlichen Risiko der Ansteckung mit COVID-19 geschützt werden. Zugleich wird mit der Regelung erreicht, dass vor handenes und einsetzbares Pflegepersonal sich primär auf die Sicherstellung der pflegerischen Versorgung konzentrieren kann.
  • Mit den in § 150 Abs. 1 bis Abs. 6 SGB XI vorgesehenen Regelungen soll während der COVID-19-Pandemie eine ausreichende stationäre und ambulante pflegerische Versorgung von Pflegebedürftigen sichergestellt werden. Zudem sollen Träger von Pflegeeinrichtungen finanziell unterstützt werden.Stellt ein Träger fest, dass seine Leistungserbringung durch COVID-19 wesentlich beeinträchtigt wird, hat es darüber die für ihn federführend zuständige Pflegekasse umgehend in Kenntnis zu setzen. Eine wesentliche Beeinträchtigung der Leistungserbringung liegt nach der Gesetzesbegründung u.a. dann vor, wenn die Einrichtung mit nicht kompensierbaren krankheits- oder quarantänebedingten Ausfällen von Personal zu kämpfen hat, ein höherer Aufwand für die Versorgung von mit COVID-19 erkrankten Pflegebedürftigen erforderlich ist, die Einrichtung erhöhte Anforderungen aufgrund behördlich angeordneter Isolation bzw. Quarantäne erfüllen muss oder es zu pandemiebedingten Mindereinnahmen bei der Leistungserbringung kommt. Ziel der Information der Pflegekasse ist, dass diese im Einzelfall prüfen und mit der Einrichtung abstimmen kann, ob und wenn ja, welche individuellen Maßnahmen und Lösungen erforderlich sind, um die pflegerische Versorgung der durch die Einrichtung versorgten pflegebedürftigen Personen dauerhaft sicherstellen zu können.Die Pflegekasse kann zur Unterstützung der Pflegeeinrichtung alle bestehenden Instrumente des sozialversicherungsrechtlichen Vertragsrechts nutzen: Zulassungsrechtliche Voraussetzungen können vorrübergehend eingeschränkt, formale Erfordernisse vereinfacht und von Rahmenbedingungen zur Personalausstattung und Richtlinien zur persönlichen Qualifikation der pflegerischen Mitarbeiter kann abgewichen werden. Damit soll vorhandenes Personal flexibler eingesetzt werden können und auch eine trägerübergreifende Personalüberlassung zwischen den Einrichtungen ermöglicht werden.Nach § 150 Abs. 2 S. 1 SGB XI n.F. haben die zugelassenen Pflegeeinrichtungen Anspruch auf Erstattung der infolge des COVID-19 entstandenen außerordentlichen Aufwendungen und Mindereinnahmen im Rahmen ihrer Leistungserbringung, einschließlich der Kosten für Unterkunft und Verpflegung. Nach der Gesetzesbegründung gehören zu den außerordentlichen Aufwendungen insbesondere die Ausgaben für infektionshygienische Schutzvorkehrungen (z.B. Einmalmaterial und Desinfektionsmittel), zusätzliche Personalaufwendungen für Ersatzpersonal oder Mehrarbeitsstunden, wenn Ausfälle wegen Erkrankung oder Quarantänemaßnahmen von abwesendem Personal kompensiert werden müssen. Zu Mindereinnahmen kann es kommen, wenn z.B. Tages- oder Kurzzeitpflegegäste ihre geplanten Aufenthalte in Einrichtungen dauerhaft absagen, solche Einrichtungen aufgrund behördlicher Anordnung ganz geschlossen werden müssen oder Kunden ambulanter Dienste die Inanspruchnahme von Leistungen zum Zwecke der sozialen Distanzierung reduzieren. Der Erstattungsanspruch gilt unabhängig davon, ob die Pflegeeinrichtung die Pflegekassen nach § 150 Abs. 1 SGB XI informiert hat. Der Anspruch entfällt nur dann, wenn die Ausgaben und Ausfälle bereits anderweitig (z.B. über Kurzarbeitergeld, Entschädigung nach dem Infektionsschutzgesetz) finanziert werden.Der Spitzenverband Bund der Pflegekassen (GKV-Spitzenverband) ist nach § 151 Abs. 3 SGB XI n.F. beauftragt, möglichst zeitgleich mit Inkrafttreten des COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetzes das Erstattungsverfahren nach § 150 Abs. 2 SGB XI n.F. in den einzelnen Bundesländern einschließlich der benötigten Nachweise einheitlich und praktikabel zu regeln. Soweit ersichtlich, existieren verbindliche Regelung insoweit bisher nicht oder sind jedenfalls nicht veröffentlicht worden.

Nach der gemeinsamen Presseerklärung des Bundesgesundheitsministeriums und der Pflegeverbände vom 19. März 2020 hatten die Beteiligten in ihrem Maßnahmenplan auch vereinbart, dass Verordnungen für die häusliche Krankenpflege – entgegen der nach der Richtlinie des G-BA geltenden grundsätzlich Dauer – auch noch nach 14 Tagen von den Krankenkassen anerkannt werden sollen. Diese Vereinbarung ist nicht Gegenstandes des COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetzes geworden und wurde – soweit ersichtlich – bisher auch nicht anderweitig umgesetzt. Es gilt zu hoffen, dass sich die Krankenkassen dennoch an ihre Zusage halten.

Die Regelungen der §§ 147, 148, 151 SGB V n.F., wodurch das Infektionsrisiko von pflegebedürftigen Personen durch die Verhinderung von Kontakt mit außenstehenden Dritten reduziert werden soll, ist sehr zu begrüßen. Gleiches gilt für den damit verbundenen Effekt, dass personelle Ressourcen frei werden und vorübergehend unmittelbar in der Pflege eingesetzt werden können. So beschäftigt der MDK nach eigenen Angaben bundesweit rd. 3.500 Pflegekräfte, die nunmehr für die stationäre und ambulante Pflege zur Verfügung stehen. Einzelheiten der Überlassung sollen auf Landesebene regelt werden. Hier ist nun ein strukturiertes und schnelles Handeln gefragt, damit das vorhandene, aber eben auch begrenzte MDK-Pflegepersonal auf die über 25.000 Pflegeeinrichtungen in Deutschland rasch verteilt und dort sachgerecht eingesetzt werden kann.

Auch die Flexibilisierung der allgemeinen Voraussetzung für die Zulassung, Personalausstattung und Qualifikation – und zwar angepasst an die individuellen Umstände der einzelnen Pflegeeinrichtung – ist positiv zu bewerten. Dadurch wird es möglich, aufgrund von Schließung von Einrichtungen (z.B. Einrichtungen der Tages- und Nachtpflege) frei werdendes Personal schnell und unbürokratisch dort einzusetzen, wo es am dringendsten gebraucht wird. Das ist wichtig, um in der Pflege tätige Personen zu entlasten, die aufgrund der Erkrankung von Kollegen oder der Anordnung von Quarantäne seit dem Ausbruch der Pandemie z.T. erhebliche Überstunden leisten müssen. Die bisher regional erlaubten Ausnahmen zur täglichen Höchstarbeitszeit nach dem Arbeitszeitgesetz (ArbZG) – in der Regel sind nunmehr bis zu 12 Stunden am Tag erlaubt – hilft zwar absolute Notzeiten zu überbrücken, kann aber keine Wochen und ggf. Monate andauernde Dauerlösung darstellen. Durch die flexible Prüfung und Feststellung des Bedarfs und Handhabung im Einzelfall wird neben dem flexiblen Einsatz von Personal sichergestellt, dass die Anforderungen an die Ausbildung des eingesetzten Personals und an die sonstige Qualität der Pflegeleistungen nicht zu weit herabgesetzt werden, sondern pflegebedürftige Personen, der Situation angemessen, weiter sachgerecht versorgt werden und keinen Schaden nehmen. Die Einhaltung von Mindestanforderungen für eine fachmännische und qualitativ ausreichende Pflege muss gerade in Zeiten einer Pandemie gewährleistet bleiben, nicht zuletzt um Spätfolgen vorzubeugen.

In der Pflegebranche wird die verbindliche Festschreibung der Kostenübernahme von durch COVID-19 verursachten Mehrausgaben und Einnahmeverlusten durch die Pflegekassen sehr begrüßt. Es wird hier allerdings befürchtet, dass der GKV-Spitzenverband nicht wie vom Gesetzgeber nach § 151 Abs. 3 SGB XI n.F. beabsichtigt, zeitnah einheitliche Erstattungsregeln erlässt und das Verfahren praktikabel handhabt, sondern die Pflegeeinrichtungen für die Erstattung ihrer Mehrkosten und Verluste einen erheblichen bürokratischer Aufwand betreiben müssen. Der GKV-Spitzenverband ist aufgerufen, schnell zu handeln und unter Orientierung an den Regelungen und der Handhabe von Finanzhilfen, die in den übrigen Wirtschaftszweigen gewährt werden, ein formal einfaches Erstattungsverfahren zu etablieren.

Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite

Das Infektionsschutzgesetz (IfSG) wird durch die Länder ausgeführt. Entsprechend obliegt die Kompetenz zur Anordnung von Maßnahmen der Verhütung sowie der Bekämpfung übertragbarer Krankheiten nach dem IfSG – je nach Länderzuständigkeitsverordnung – den Landesbehörden oder regionalen Regierungsämtern. Eine Zuständigkeit des Bundes zum Erlass bundesweiter Maßnahmen und Regelungen war auch für den gesundheitlichen Krisenfall bisher im IfSG nicht vorgesehen.

Mit dem Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite ist der Deutsche Bundestag gemäß § 5 IfSG n.F. nunmehr ermächtigt (§ 5 IfSG ist mit Wirkung zum 27. März 2020 in Kraft getreten) eine epidemische Lage von nationaler Tragweite festzustellen. Die Feststellung ist Voraussetzung dafür, dass das Bundesgesundheitsministerium nach § 5 Abs. 2 IfSG ermächtigt ist, durch Anordnung oder Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates bundesweit einheitlich geltende Maßnahmen u.a. zur Grundversorgung mit Arzneimitteln, einschließlich Betäubungsmitteln, Medizinprodukten, Labordiagnostik, Hilfsmitteln, Gegenständen der persönlichen Schutzausrüstung und Produkten zur Desinfektion sowie zur Stärkung der personellen Ressourcen im Gesundheitswesen zu treffen. Durch das Erfordernis, dass der Bundestag konstitutiv festzustellen hat, dass eine epidemische Lage von nationaler Tragweite vorliegt, soll die parlamentarische Kontrolle der Exekutive gewährleistet werden. Sobald der Bundestag durch Beschluss entscheidet, dass eine solche Notlage nicht mehr gegeben ist – wozu er gemäß § 5 Abs. 1 S. 2 IfSG n.F. verpflichtet ist, sobald hiervon nicht mehr ausgegangen werden kann -, endet auch die Ermächtigung des Bundesgesundheitsministerium. Die auf der Ermächtigungsgrundlage des § 5 Abs. 2 IfSG n.F. erlassenen Rechtsverordnungen treten außer Kraft. Für die aktuelle COVID-19-Krise erlassene Rechtsverordnungen des Bundesgesundministeriums treten zudem spätestens mit Ablauf des 31. März 2021 außer Kraft.

Für den Bereich der ambulanten und stationären Pflege ist primär die Ermächtigung nach § 5 Abs. 2 Nr. 8 IfSG n.F. von Interesse. Danach kann das Bundesgesundheitsministerium durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates, zur Aufrechterhaltung der pflegerischen Versorgung in ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen Maßnahmen in Abweichung von bestehenden gesetzlichen Vorgaben vorsehen, insbesondere (a) bundesgesetzliche oder vertragliche Anforderungen an Pflegeeinrichtungen aussetzen oder ändern, (b) untergesetzliche Richtlinien, Regelungen, Vereinbarungen und Beschlüsse der Selbstverwaltungspartner nach dem SGB XI und nach Gesetzen, auf die im SGB XI Bezug genommen wird, anpassen, ergänzen oder aussetzen und (c) Aufgaben, die über die Durchführung von körperbezogenen Pflegemaßnahmen, pflegerischen Betreuungsmaßnahmen und Hilfen bei der Haushaltsführung bei Pflegebedürftigen hinaus regelmäßig von Pflegeeinrichtungen, Pflegekassen und Medizinischen Diensten zu erbringen sind, aussetzen oder einschränken.

Die Verlagerung der Verwaltungskompetenz zur Umsetzung der nach dem IfSG erforderlichen Maßnahmen und Anordnungen u.a. für den Bereich der Pflege im Falle einer festgestellten epidemischen Lage von nationaler Tragweite von den Landesbehörden auf das Bundesgesundheitsministerium muss rechtsstaatlich sicherlich auch hinterfragt und kritisch bewertet werden. Insbesondere für bundesweit oder in mehreren Bundesländern tätige stationäre und ambulante Pflegeeinrichtungen bedeuten bundeseinheitliche Regelungen aber eine erhebliche bürokratische Erleichterung. Ihr administrativer Aufwand wird deutlich sinken, wenn sie nicht mehr in jedem Bundesland unterschiedliche, nur vorübergehend geltende Allgemeinverfügungen und Verordnungen zu beachten haben oder solche, die sogar innerhalb eines Bundeslandes regional voneinander abweichen (auch wenn das im Einzelfall unter Berücksichtigung unterschiedlicher Gefährdungslagen gerechtfertigt sein kann). Das Risiko von Pflegeeinrichtungen, gegen (noch) nicht bekannte Neuregelungen zu verstoßen, wird geringer; die allgemeine Rechtssicherheit für alle Beteiligten steigt, was gerade in Krisenzeiten von großer Wichtigkeit ist. Hinzu kommt, dass publikumswirksame „Schnellschüsse“ von Landesregierungen, die mit den anderen Ländern gleichziehen oder anderen Bundesländern vorangehen wollen – wie es zuletzt bei der Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 20. März 2020 geschehen ist – dadurch vermieden werden. Die bayerische Allgemeinverfügung enthält z.B. keine Ausnahmeregelung für Besuche in stationären Pflegeeinrichtungen oder eine sonstige unbürokratische Handhabe für Behörden oder Pflegeheime selbst, Ausnahmen im Einzelfall zuzulassen. Solche Ausnahmen können jedoch zwingend erforderlich werden, wenn einzelne pflegebedürftige Menschen mit dem Besucherstopp und der Isolation nicht zurechtkommen und z.B. deshalb das Essen verweigern oder sich sonst ihr Gesundheitszustand (rapide) verschlechtert. Für die aktuelle Situation ist die Bayerische Landesregierung deshalb dringend aufgerufen, hier von sich aus nachzubessern und z.B. Ausnahmevorschriften mit der Anordnung von damit verbundenen besonderen Hygienemaßnahmen vorzusehen. Die Regierung sollte dafür nicht erst einen Eilantrag eines Angehörigen oder einer Pflegeinrichtung abwarten.

Auch der neu in das IfSG aufgenommene § 5a IfSG, nach dem im Rahmen einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite die Ausübung heilkundlicher Tätigkeiten neben Ärzten auch Angehörige von Gesundheitsfachberufen wie z.B. Altenpflegern und Pflegefachleuten erlaubt wird, ist für Pflegeeinrichtungen von Bedeutung.

Durch diese Regelung sollen in einer gesundheitlichen Krisensituation wie der COVID-19-Pandemie Ärzte von solchen Behandlungen entlastet werden, die ein ärztliches Tätigwerden im Krisenfall nicht zwingend erfordern. Voraussetzung für die vorübergehende Ausübung der heilkundlichen Tätigkeit ist die persönliche Kompetenz der Person, die sowohl anhand der konkreten Ausbildung, als auch nach den persönlichen Fähigkeiten zu ermitteln ist. Darüber hinaus ist der Gesundheitszustand des oder der zu behandelnden Patienten zu berücksichtigen. Diese Regelung ist als absolute Ausnahmeregelung zu verstehen, die Angehörige von bestimmten Gesundheitsfachberufen nur im tatsächlichen Bedarfsfall zur heilkundlichen Tätigkeit berechtigen soll. Vorrangig bleibt die ärztliche Veranlassung, d.h. eine ärztliche Delegation an nicht-medizinisches Fachpersonal (z.B. Arzthelfer/in und Krankenschwester/pfleger). Zu diesem Zweck sind vorrangig alle telemedizinischen Möglichkeiten und sonstige Kommunikationsmittel zu nutzen. Der Gesetzgeber betont in der Gesetzesbegründung, dass hier eine flexible und pragmatische Handhabung der ärztlichen Delegation erfolgen soll.

Gesetz für den erleichterten Zugang zu sozialer Sicherung und zum Einsatz und zur Absicherung sozialer Dienstleister aufgrund des Coronavirus SARS-CoV-2

Das Gesetz für den erleichterten Zugang zu sozialer Sicherung und zum Einsatz und zur Absicherung sozialer Dienstleister aufgrund des Coronavirus SARS-CoV-2 ist für den Pflegebereich insoweit von Bedeutung, als das Gesetz an den neuen § 5 Abs. 1 IfSG (epidemische Lage von nationaler Tragweite) anknüpft. Nach Feststellung durch den Bundestag ist das Bundesarbeitsministerium nach § 14 Abs. 4 ArbZG n.F. ermächtigt, bundesweit geltende Ausnahmen von Vorgaben des ArbZG zuzulassen, u.a. um die Aufrechterhaltung des Gesundheitswesens und der pflegerischen Versorgung sicherzustellen. Die Ausnahmen müssen befristet sein. Durch die Notwendigkeit der vorherigen Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite durch das Parlament und die Pflicht zur zeitlichen Befristung soll die parlamentarische Kontrolle des Bundesarbeitsministeriums gewährleistet werden.

§ 14 Abs. 4 ArbZG n.F. lautet:

(4) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales kann durch Rechtsverordnung im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Gesundheit ohne Zustimmung des Bundesrates in außergewöhnlichen Notfällen mit bundesweiten Auswirkungen, insbesondere in epidemischen Lagen von nationaler Tragweite nach § 5 Absatz 1 des Infektionsschutzgesetzes, für Tätigkeiten der Arbeitnehmer für einen befristeten Zeitraum Ausnahmen zulassen, die über die in diesem Gesetz und in den auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen sowie in Tarifverträgen vorgesehenen Ausnahmen hinausgehen. Diese Tätigkeiten müssen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, des Gesundheitswesens und der pflegerischen Versorgung, der Daseinsvorsorge oder zur Versorgung der Bevölkerung mit existenziellen Gütern notwendig sein. In der Rechtsverordnung sind die notwendigen Bedingungen zum Schutz der in Satz 1 genannten Arbeitnehmer zu bestimmen.

Nach Ansicht des Gesetzgebers reicht die bisherige Ermächtigungsnorm für die Landes- bzw. Bezirksregierungen nach § 15 Abs. 2 ArbZG (Ermächtigung zu Ausnahmevorschrif-ten bei Notwendigkeit im öffentlichen Interesse) nicht aus, um auf außergewöhnliche gesundheitliche Notfälle von nationaler Tragweite wie aktuell die COVID-19-Krise schnell, effektiv und vor allem einheitlich zu reagieren. Die Kompetenz zum Erlass einer Rechts-verordnung zur Regelung der erforderlichen arbeitszeitlichen Ausnahmevorschriften soll deshalb in diesen Fällen auf das Bundesarbeitsministerium verlagert werden.

Nach der Begründung des Gesetzes sind Ausnahmevorschriften sowohl für das Gesundheitswesen, als auch für die pflegerische Versorgung, einschließlich der ambulanten Dienste zulässig. Der Erlass von Ausnahmen von den arbeitszeitrechtlichen Vorgaben muss vor dem Hintergrund der gesundheitlichen Notlage für die konkrete Tätigkeitsgruppe notwendig sein; nicht bei jeder dem Gesundheitswesen oder der Pflege zuzurechnende Tätigkeit ist das der Fall.

Zum Zwecke einer raschen, effektiven und vor allem einheitlichen nationalen Regelung ist – auch vor dem Hintergrund rechtstaatlicher Prinzipien – die Ermächtigung des Bundesarbeitsministers zum Erlass einer zeitlich befristeten, bundesweit geltenden Rechtsverordnung zu begrüßen. Dabei ist aber stets im Blick zu behalten, dass die Erhöhung von täglichen Arbeitszeiten des Pflegepersonals nicht das alleinige Mittel sein kann, um das deutsche Gesundheitssystem und eine ausreichende Pflege während einer gesundheitlichen Krisenzeit wie der vorliegenden COVID-19-Pandemie aufrechtzuerhalten. Dies ginge auf Kosten in der Pflegebranche – und im Gesundheitswesen – arbeitender Personen. Primäres Ziel sollte vielmehr sein, möglichst rasch ausreichendes Personal zur Verfügung zu stellen, indem anderweitig freiwerdende Ressourcen genutzt, bürokratische Hürden abgebaut und Ausbildungs- und Qualitätsanforderungen vorübergehend in angemessener Weise angepasst werden. Der § 150 Abs. 1 SGB XI n.F. dient genau diesem Zweck. Es handelt sich hierbei jedoch um eine Übergangsregelung, deren Geltungsdauer zwar nach § 151 SGB V verlängert werden kann, dies gilt jedoch bislang ausschließlich während der aktuellen COVID-19-Krise. In künftigen gesundheitlichen Krisenzeiten steht die Regelung des § 151 Abs. 1 SGB XI den Pflegekassen und Pflegeeinrichtungen nicht mehr zur Verfügung. Hier gilt es rechtzeitig für künftige Krisen eine entsprechende Regelung vorzusehen.

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