Norwegisches Oberstes Gericht entzieht Windkraftlizenzen: Schutz kultureller Praxis von Minderheiten

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Das Oberste Gericht Norwegens erklärte am 11. Oktober 2021 eine Baugenehmigung für Windkraftanlagen für ungültig, weil diese gegen das Recht auf kulturelle Praxis von Minderheiten aus Art. 27 ICCPR verstoße. Als eines der ersten Urteile, das den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte auf nationaler Ebene anwendet, könnte es auch internationale Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit und Bestandskraft von Genehmigungen haben und die Finanzierung von Windparks künftig maßgeblich beeinflussen.

Im konkreten Fall ging es um ein Gebiet auf der Halbinsel Fosen, das von samischen Rentierzüchtern als Weidefläche genutzt wird. 2010 erteilten die norwegischen Behörden für dieses Land Windkraftlizenzen, auf deren Basis 2019 und 2020 Windkraftanlagen als Teil des größten Onshore-Windkraftprojekts in Europa fertiggestellt wurden. Das Gericht stellte nun fest, dass die Nutzung als Winterweidefläche durch die errichteten Windkraftanlagen erheblich beeinträchtigt sei. Es erklärte die Baugenehmigung für ungültig, da diese gegen das Recht auf kulturelle Praxis von Minderheiten aus Art. 27 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte ("ICCPR") verstoße.

Der gemeinhin, selbst in Rechtskreisen eher unbekannte Art. 27 ICCPR besagt, dass Personen, die einer ethnischen, religiösen oder sprachlichen Minderheit angehören, nicht das Recht verwehrt werden darf, in Gemeinschaft mit den anderen Mitgliedern ihrer Gruppe ihre eigene Kultur zu praktizieren. Der ICCPR ist ein von 173 der 193 UN-Mitgliedsstaaten unterzeichneter völkerrechtlicher Pakt, der bürgerliche und politische Rechte benennt, aber kein bindendes überstaatliches Instrument zu deren Durchsetzung enthält. Diese bleibt den Mitgliedsstaaten überlassen. 

Die Umsetzung des ICCPR unterscheidet sich von Mitgliedsstaat zu Mitgliedsstaat und sollte deshalb für jedes zukünftige Projekt gesondert untersucht werden. Norwegen verabschiedete 1999 ein Gesetz, durch das den Bestimmungen des ICCPR im Falle des Konflikts mit nationalem Recht Vorrang eingeräumt wurde. In Deutschland gilt der ICCPR als Völkerrecht und ist gem. Art. 25 Grundgesetz Bestandteil des Bundesrechtes. Bei einem Verstoß könnte ein Verwaltungsakt also für rechtswidrig erklärt werden. In Schweden als weiterem skandinavischem Land hingegen erfolgte keine Umsetzung in einfaches Recht, Gerichte sollen nationale Gesetze aber im Lichte des ICCPR auslegen. Insgesamt spielt der ICCPR in den Gerichtsentscheidungen der Mitgliedsstaaten bisher fast keine Rolle - möglicherweise auch aufgrund von mangelnder Kenntnis der Vorschriften. Durch das medial vielbeachtete norwegische Urteil könnte sich dies nun aber ändern.

Unmittelbare Folgen, die auch bei Urteilen in anderen Ländern Anwendung finden könnten, können der norwegischen Entscheidung zwar nicht entnommen werden. Die tatsächlichen Handlungspflichten, die aus der Rechtswidrigkeit des Windparkbaus folgen, müssen erst durch das zuständige norwegische Ministerium festgelegt werden. Feststeht, dass zumindest in Norwegen auch eine endgültig und unbedingt erteilte Baugenehmigung keine Garantie für die Rechtmäßigkeit und Bestandskraft des Projekts darstellt.

Für Banken und Investoren gilt es nun jedoch, sowohl in der frühen Projektentwicklungsphase als auch im Due Diligence Prozess besonderes Augenmerk auf die Rechte von möglicherweise betroffenen Minderheiten zu richten. Dies ist insbesondere deshalb unerlässlich, da unter Umständen weder eine Entschädigung in Geld noch die Bereitstellung von alternativen Flächen ein adäquates Mittel zur Risikominimierung darstellen.

In der Projektplanung sind kulturelle Beeinträchtigungen als Teil des Environmental Impact Assessments ("EIA") zwar bereits heute stets zu beachten. In Europa bestimmt die Convention on Environmental Impact Assessment in a Transboundary Context von 1991, dass die Umweltprüfung auch die Auswirkungen auf kulturelles Erbe und sozioökonomische Bedingungen im Projektgebiet umfassen soll. Auch die 2001 veröffentlichte EU-Richtlinie zu Umweltprüfungen bezieht den Schutz der Bevölkerung und des kulturellen Erbes in die Umwelteinwirkungen ein. In ihren Vorschlägen für die im Rahmen eines EIA zu überprüfenden Beeinträchtigungen nennt die UN soziokulturelle Aspekte wie die Lebensmuster lokaler Bevölkerungsgruppen ausdrücklich. Bei zukünftigen Projekten ist vor diesem Hintergrund nun eine weitere Auslegung der Bestimmungen zur Umweltprüfung dringend geboten als dies zuvor der Fall war.

Für Banken geben die Equator Principles, ein freiwilliges Regelwerk zur Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards im Bereich der Projektfinanzierung, eine Richtung vor. Deren fünftes Prinzip besagt, dass alle Projekte, die indigene Völker beeinträchtigen, einem Beratungs- und Beteiligungsprozess zu unterziehen sind, für den ein qualifizierter unabhängiger Berater beauftragt werden muss. Dieser evaluiert, ob das geplante Projekt die Rechte und den Schutz indigener Völker gemäß den einschlägigen nationalen Gesetzen einhält, einschließlich der völkerrechtlichen Verpflichtungen des ICCPR; hierauf wird in Zukunft sicher ein größerer Fokus zu setzen sein.

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