Bezahlte Freistellungen für Corona-Impfungen?

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In einem Interview gegenüber der Augsburger Allgemeinen* kündigt Arbeitsminister Heil an, dass die SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung (Corona-ArbSchV) angepasst werden soll. Hygieneregeln und Testangebotspflicht sollen beibehalten werden. Zudem sollen die Arbeitgeber niederschwellige Impfangebote dadurch unterstützen, dass sie angehalten werden sollen, stärker an der Impfaufklärung mitzuwirken und Impfungen im Zweifelsfall auch während der Arbeitszeit zu ermöglichen. Es stellen sich hierbei jedoch viele Fragen:

Geht das grundsätzlich?

Rechtsgrundlage für die Corona-ArbSchV ist § 18 Abs. 3 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG). Hiernach kann das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) ohne Zustimmung des Bundesrates in epidemischen Lagen von nationaler Tragweite spezielle Rechtsverordnungen erlassen. Diese können Maßnahmen vorsehen, die Arbeitgeber zu treffen haben, um ihre Pflichten aus dem ArbSchG zu erfüllen. Arbeitgeber sind grundsätzlich verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen, die die Sicherheit und die Gesundheit der Mitarbeiter:innen bei der Arbeit beeinflussen (§ 3 Abs. 1 S. 1 ArbSchG). Die Kosten für die Maßnahmen nach dem ArbSchG hat der Arbeitgeber zu tragen (§ 3 Abs. 3 ArbSchG).

Es ist äußerst fraglich, ob die Verordnungsermächtigung eine ausreichende Grundlage dafür darstellen kann, Ansprüche der Mitarbeiter:innen auf eine bezahlte Freistellung zur Teilnahme an einer Corona-Impfung zu begründen, die der allgemeinen Gesundheitsvorsorge dient. Es ist unbestritten, dass die Gefahr, sich mit dem Coronavirus zu infizieren und schwer zu erkranken, nicht nur in öffentlichen Verkehrsmitteln, bei Veranstaltungen, Feiern usw., sondern auch am Arbeitsplatz besteht. Daher enthält die Verordnung auch Vorgaben für eine Gefährdungsbeurteilung und die Aufstellung eines betrieblichen Hygienekonzepts (§ 2 Corona-ArbSchV). Nach der Auffassung des BMAS dürfen Arbeitgeber – abgesehen von Sonderkonstellationen (wie z.B. in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen) – ihre Mitarbeiter:innen nicht nach dem Impfstatus fragen. Da der Impfstatus nicht erfragt, erfasst oder ausgewertet werden kann, kann er praktisch auch nicht im Rahmen des Hygienekonzepts berücksichtigt werden. Es besteht nach allgemeiner Meinung auch keine allgemeine rechtliche Verpflichtung, sich impfen zu lassen.

Arbeitgeber können sich daher nur auf einen Appell an die Belegschaft beschränken, sich impfen zu lassen. Corona-Impfungen dienen primär der eigenen Gesundheitsvorsorge und haben nur mittelbar eine Auswirkung auf den Betrieb. Alle Bürger:innen trifft eine zumindest moralische Verantwortung, sich und andere zu schützen. Eine Freistellung – zudem bezahlt – kann daher keine Arbeitsschutzmaßnahme sein.

Bereits in der gesetzlichen Ermächtigungsnorm müssen Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung bestimmt werden (Art. 80 Abs. 1 S. 1 GG). Zur Konkretisierung hat der Gesetzgeber daher einen Katalog aufgenommen, was Gegenstand einer Rechtsverordnung sein kann (§ 18 Abs. 2 ArbSchG). Der Katalog ist zwar nicht abschließend. Den aufgezählten Maßnahmen ist jedoch gemein, dass es um Maßnahmen geht, die der Abwehr bestimmter Gefahren im Betrieb und nicht einer allgemeinen Gefährdungslage dienen. Eine Freistellung für eine Impfung, die dem allgemeinen Gesundheitsschutz und nicht der Vermeidung bestimmter Gefahren im Betrieb dient, die nicht verlangt werden darf und über die der Arbeitgeber auch nichts wissen darf, kann schwerlich hierunter gefasst werden.

Eine bezahlte Freistellung kommt einer Art Impfprämie gleich. Das BMAS würde damit meines Erachtens seine Kompetenzen überschreiten, wenn es die Unternehmen für eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe zahlen lässt.

Nach allgemeinen Grundsätzen lässt sich kein Entgeltfortzahlungsanspruch begründen. Die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (§ 3 EFZG) greift allenfalls im Falle von Folgewirkungen der Impfung und bei Komplikationen, nicht aber für die Impfung selbst. Ein Anspruch wegen einer vorübergehenden Arbeitsverhinderung (§ 616 BGB) lässt sich ebenfalls nicht begründen. Der/die Mitarbeiter/in müsste wegen eines in seiner/ihrer Person liegenden Grundes ohne Verschulden verhindert sein. Inzwischen gibt es ausreichend Impfangebote auch außerhalb der Arbeitszeit, so dass eine Impfung während der Arbeitszeit vermeidbar ist. Dies räumt schließlich auch Herr Heil ein, da dieser Vorstoß darauf gerichtet ist, Impfmüde, die sich schon längst hätten impfen lassen können, zu einer Impfung zu veranlassen.

Wie soll das im Detail gehen?

Wenn es einen entsprechenden Anspruch auf Freistellung während der Arbeitszeit für eine Corona-Impfung geben sollte, stellen sich Fragen, wie das umgesetzt werden soll. Im Ergebnis läuft es auf eine Zeitgutschrift für eine Abwesenheit hinaus, in der die Mitarbeiter:innen während der üblichen Arbeitszeit ihre Arbeitsleistung nicht erbringen konnten. Er fragt sich, ob es hierbei nur um die Impfung selbst geht. Dann wären es vermutlich ca. 30 Minuten (Beratung, Impfung und Nachsorge). Unklarheit besteht, ob auch die An- und Abreise zum impfenden Arzt hinzuzählt oder sich Mitarbeiter:innen darauf verweisen lassen müssen, die nächstgelegene Impfmöglichkeit (insbesondere nächstgelegene/r Arzt/Ärztin am Wohnort/Arbeitsplatz) zu nutzen. Was ist, wenn das Unternehmen zuvor selbst schon Impfungen angeboten hat? In flexiblen Arbeitszeitmodellen könnten gewitzte Mitarbeiter:innen auf die Idee kommen, Zeiten als Arbeitszeit zu deklarieren, in denen sie üblicherweise nicht gearbeitet hätten (z.B. weil nach der sonst üblichen Zeit die Impfaktion am Supermarkt mit Bratwurstbelohnung genutzt wird).

Bei einem allgemeinen Anspruch auf Freistellung während der Arbeitszeit für eine Corona-Impfung stellt sich die Frage, ob der Arbeitgeber die Teilnahme an einer Impfung aus betrieblichen Gründen ablehnen kann (z.B. bei Fließbandarbeiter:innen, Lokführer:innen oder Busfahrer:innen während des Schichtbetriebs). Auch in diesem Fall würde sich natürlich ein Graubereich öffnen, ob betriebliche Gründe vorliegen. Folgefrage wäre dann natürlich, ob ein Anspruch auf Freizeitausgleich oder Bezahlung besteht, wenn diese Mitarbeiter:innen die Impfungen außerhalb ihrer Arbeitszeit durchführen müssen.

Auch stellt sich die Frage, wie es mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz zu vereinbaren ist, dass in den Genuss einer bezahlten Freistellung nicht mehr die Mitarbeiter:innen kommen würden, die sich bereits während ihrer Freizeit haben impfen lassen.

Fazit

Eine Verpflichtung, Mitarbeiter:innen für eine Corona-Impfung während der Arbeitszeit bezahlt freizustellen, ist abzulehnen. Hierfür gibt es keine ausreichende gesetzliche Grundlage. Auch würde sich für die Praxis eine Vielzahl von Folgefragen stellen, die im Zweifel in der Corona-ArbSchV nicht hinreichend klar beantwortet werden können. Die Organisation von niederschwelligen Impfangeboten, um die Impfbereitschaft zu erhöhen, ist keine Arbeitsschutzmaßnahme. Politik und Regierung müssen sich fragen lassen, wie sie Bürger:innen erreichen können, die sachlichen Argumenten nicht zugänglich sind. Es kann nicht Aufgabe der Unternehmen sein, durch bezahlte Freistellungen die allgemeine Impfstrategie zu unterstützen. Die Unternehmen haben sich während der Corona-Pandemie bereits sehr flexibel gezeigt. Frühzeitig haben sie betriebliche Hygienekonzepte aufgestellt, Homeoffice ermöglicht, Testangebote zur Verfügung gestellt und in großem Umfang durch eigene Impfaktionen unterstützt.

Finanzielle Anreize für Impfungen, die der eigenen Gesundheitsvorsorge dienen, erscheinen auch generell der falsche Weg. Corona-Impfungen werden neben Grippeschutzimpfungen zur neuen Normalität gehören. Es sollten daher keine Erwartungen begründet werden, dass für kostenlose Impfungen zusätzliche finanzielle Anreize gesetzt werden.

*https://www.augsburger-allgemeine.de/politik/Interview-Arbeitsminister-Heil-Impfungen-waehrend-der-Arbeitszeit-ermoeglichen-id60376426.html.

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