Impfen am Arbeitsplatz – Darf der Betriebsrat mitbestimmen?

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Der offizielle Startschuss für Corona-Impfungen in deutschen Betrieben rückt näher. In unserer Beitragsreihe zum Impfen am Arbeitsplatz zeigen wir auf, was es für einen reibungslosen Ablauf des Impfprogramms aus rechtlicher Sicht zu beachten gibt. Arbeitgeber, die ein Impfprogramm in einem mitbestimmten Betrieb ausrollen möchten, werden sich die Frage nach etwaigen Mitbestimmungsrechten des Betriebsrats stellen

Spätestens ab dem 7. Juni 2021 soll es laut Bundesgesundheitsminister Jens Spahn mit einer großen Anzahl an Impfdosen losgehen. Ein wichtiges, aber überfälliges Signal, denn Arbeitgeber stehen mancherorts schon seit Wochen in den Startlöchern. Das Vorhaben trifft naturgemäß auch bei den meisten Betriebsräten auf offene Ohren, die Kooperationsbereitschaft ist erfahrungsgemäß groß. Arbeitgeber sollten dennoch wissen, ob und in welchen Punkten sie den Betriebsrat zwingend zu beteiligen haben.

Welche Mitbestimmungsrechte können betroffen sein?

Nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) sind Regelungen über die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sowie über den Gesundheitsschutz im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften oder der Unfallverhütungsvorschriften zwingend mitbestimmungspflichtig. Der Zusatz im Gesetzestext „im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften“ beschränkt das Mitbestimmungsrecht auch für den hier relevanten Bereich des Gesundheitsschutzes jedoch auf Schutzmaßnahmen, zu deren Umsetzung der Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet ist. Bietet der Arbeitgeber, wie im Falle eines Corona-Impfprogramms, freiwillig Maßnahmen zum Gesundheitsschutz an, scheidet ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG aus. Nur wenn sich das Impfprogramm mittelbar auf den gesetzlich vorgegebenen Gesundheitsschutz im Betrieb auswirkt, etwa indem das gesetzlich vorgeschriebene Hygienekonzept angepasst werden soll, darf der Betriebsrat diesbezüglich mitbestimmen.

Wenn der Betriebsarzt bei dem Arbeitgeber angestellt ist und in dieser Funktion die Schutzimpfungen durchführt (§ 6 Abs. 1 Nr. 3 CoronaImpfV), könnte ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG bestehen. Hiervon wird aber ohnehin abgeraten, denn es drohen Haftungsrisiken des Arbeitgebers in Bezug auf die ordnungsgemäße Durchführung der Impfung.

Normalerweise reichen Mitbestimmungsrechte aus § 87 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BetrVG über die Lage, Verlängerung und Verkürzung der Arbeitszeit weit und sind praktisch oft zu beachten. Demgegenüber ergeben sich beim Impfprogramm eines Arbeitgebers für den Betriebsrat aus § 87 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BetrVG keine Mitbestimmungsrechte. Das gilt jedenfalls, wenn die Arbeitnehmer das Impfangebot während der Arbeitszeit wahrnehmen können, ohne „nacharbeiten“ zu müssen. Selbst wenn sich die faktische Arbeitszeit durch die Inanspruchnahme der Impfung einmalig verkürzen und verlagern mag, entscheidet sich der Arbeitnehmer hierzu freiwillig und es fehlt an einer mitbestimmbaren Anordnung des Arbeitgebers (vgl. auch Bundesarbeitsgericht (BAG), Beschluss vom 27.01.1998 – 1 ABR 35/97).

Arbeitgeberseitige Impfprogramme sind keine „Sozialeinrichtung“, deshalb scheidet ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats betreffend die Form, Ausgestaltung und Verwaltung solcher Einrichtungen nach § 87 Abs. 1 Nr. 8 BetrVG aus. Für die Qualifizierung als Einrichtung bedarf es einer abgrenzbaren, eigens zu verwaltenden und auf Dauer eingerichteten Organisation, worunter selbst eine Impfstraße in Großunternehmen nicht fallen dürfte.

Stellt der Arbeitgeber für teilnehmende Arbeitnehmer bestimmte Verhaltensregelungen auf, etwa bezüglich der Anmeldung oder der Reihenfolge bei der Impfung, der Einhaltung von Abstandsregeln oder dem Ausfüllen von Formularen, kommt ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG betreffend Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer in Betracht. Nicht umfasst sind aber medizinisch indizierte Verhaltensregeln, die vom Betriebsarzt kommuniziert werden.

Wenn der Arbeitgeber das Impfprogramms unter Einsatz technischer Einrichtungen, etwa durch Verwendung einer Anmeldesoftware, organisiert oder durchführt, besteht in der Regel ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG.

Wird ein Betriebsarzt neu eingestellt, bestimmt der Betriebsrat wie bei jeder Neueinstellung mit. Aber auch wenn lediglich ein externer Betriebsarzt ohne Arbeitsverhältnis zum Arbeitgeber neu bestellt wird, ist der Betriebsrat zu hören (§ 9 Abs. 3 des Arbeitssicherheitsgesetzes).

Je nach Ausgestaltung des Impfprogramms kann die Möglichkeit einer Impfung am Arbeitsplatz sogar ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG für Fragen der betrieblichen Lohngestaltung begründen. Das ist etwa der Fall, wenn der Arbeitgeber die Kosten der Impfung selbst übernimmt. Auch der für die Dauer der Impfung weitergezahlte Arbeitslohn kann als eine Art Impf-Prämie ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG begründen, wenn der Arbeitgeber keinen Ausgleich für die „verlorene“ Arbeitszeit verlangt. Setzt der Arbeitgeber überdies weitere geldwerte Anreize für die Wahrnehmung des Impfangebots, etwa durch Geschenke, Boni oder Zeitgutschriften, ist ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG ebenfalls gegeben.

Umfang einer Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG

Die Aspekte, zu denen der Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG mitbestimmen darf, sind jedoch überschaubar. Für das Impfangebot als freiwillige Leistungen des Arbeitgebers gilt, dass sowohl die Entscheidungen über die Gewährung selbst, als auch über den Zweck, den begünstigten Personenkreis und den finanziellen Rahmen einer Mitbestimmung entzogen sind (vgl. nur BAG, Beschluss vom 09.12.1980 – 1 ABR 80/77).

Mitbestimmungspflichtig sind allein die Verteilungsgrundsätze, also die Frage, ob etwa vorrangig schwerbehinderte Arbeitnehmer oder solche im fortgeschrittenen Alter, Arbeitnehmer in besonders essentiellen Produktionsbereichen oder Funktionen, im Außendienst oder in sonstigem Kundenkontakt geimpft werden sollen. Nach aktuellem Stand muss sich der Arbeitgeber hierbei in erster Linie nach den Vorgaben aus der CoronaImpfV richten. Sollte diese aber aufgehoben werden, können die Betriebsparteien in den Grenzen des Gleichbehandlungsgrundsatzes eine eigene Priorisierung vornehmen.

Trotz der relativ geringen Einwirkungsmöglichkeiten des Betriebsrats ist jeder Arbeitgeber natürlich gut beraten, gerade bei gesellschaftlichen Aufgaben wie der Durchführung eines Impfprogramms, den Betriebsrat mit an Bord zu holen. Ein Ziel des Arbeitgebers besteht bekanntlich darin, eine möglichst hohe Impfquote bei der eigenen Belegschaft zu erreichen. Da hilft es natürlich, wenn das betriebliche Impfprogramm einvernehmlich durchgeführt wird und nicht kritisch vom Betriebsrat begleitet oder sogar betriebsöffentlich angegriffen wird.

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