Annahmeverzugslohn: Nur noch stumpfes Schwert im Kündigungsschutzprozess?

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Geht der Kündigungsschutzprozess für den Arbeitgeber verloren, freuen sich viele Arbeitnehmer auf die rückwirkende Auszahlung des ausstehenden Gehalts: Sie fordern Annahmeverzugslohn. Dabei vergessen sie oft, dass auf den Annahmeverzugslohn auch dasjenige angerechnet werden muss, was sie in der Zeit nach dem vermeintlichen Vertragsende verdient haben oder zumutbar anderweitig hätten erzielen können. Angesichts der vielen freien Stellen im Jobmarkt dürfte insbesondere in Metropolen nur noch schwierig zu begründen sein, dass sich kein andere Erwerbsmöglichkeit habe finden lassen. Was Arbeitgeber tun können, um das Prozessrisiko massiv zu ihren Gunsten zu mindern, soll dieser Beitrag beleuchten.

Hintergrund

Kündigt ein Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis eines Arbeitnehmers und legt dieser dagegen Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht ein, kann es bereits bis zu einer erstinstanzlichen Entscheidung des Arbeitsgerichts Monate bis Jahre dauern. Derzeit erleben wir bei manchen Arbeitsgerichten, dass Kammertermine mit einer Vorlaufzeit von 11 Monaten vergeben werden – nachdem man bereits zwei Monate auf den Gütetermin gewartet hat.

Die Überlastung der Gerichte hat unmittelbare Auswirkungen auf das Prozessrisiko, sowohl für den Arbeitgeber als auch für den Arbeitnehmer. Der Arbeitnehmer riskiert, wenn er sich keine Beschäftigung sucht und auf den positiven Ausgang des Rechtsstreits vertraut, dass er im Fall des Unterliegens für einen langen Zeitraum keinen Arbeitslohn erhält. Gleichzeitig riskiert der Arbeitgeber, wenn er den Rechtsstreit verliert, Annahmeverzugslohn an den Arbeitnehmer zahlen zu müssen. Zieht sich ein Rechtsstreit derart lang hin, sind diese im Raum stehenden Annahmeverzugslohnansprüche häufig wirtschaftlich entscheidender als die im Streit stehenden Abfindungsansprüche.

Einschränkungen des Annahmeverzugslohns

Was viele Arbeitnehmer und häufig auch ihre Prozessvertreter außer Acht lassen, ist, dass der Annahmeverzugslohn nach § 615 BGB zwei Einschränkungen unterliegt:

(i) Zum einen muss der Arbeitnehmer sich dasjenige anrechnen lassen, was er in der Zwischenzeit als Selbständiger oder bei einem anderen Arbeitgeber erworben hat. Damit ist ausgeschlossen, dass der Arbeitnehmer in der Zeit doppelt Einkommen erzielt, nämlich gegenüber dem alten und einem neuen Arbeitgeber. Diese Regelung haben die meisten Kläger „auf dem Schirm“, da diese Einschränkung nicht dazu führen kann, dass sie weniger erhalten, als ihnen beim bisherigen Arbeitgeber vertraglich zustand.

(ii) Die weitere Einschränkung ist die Anrechnung desjenigen, was der Arbeitnehmer böswillig unterlässt zu erwerben. Es geht also nicht nur darum, was der Arbeitnehmer tatsächlich verdient hat, sondern was er hätte verdienen können. Mit einem Blick auf den äußerst arbeitnehmerfreundlichen Arbeitsmarkt gelangt man schnell zu der Erkenntnis, dass für die allermeisten Berufszweige ein Überangebot an Jobmöglichkeiten bestehen dürfte, insbesondere in Metropolregionen. Zusätzlich gilt, dass Arbeitnehmer grundsätzlich auch Jobs annehmen müssen, für die sie überqualifiziert sind. Die Grenze ist die Unzumutbarkeit.

Folgen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer

Arbeitgeber haben Anspruch auf schriftliche Auskunft über die von der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter dem Arbeitnehmer unterbreiteten Vermittlungsvorschläge unter Nennung von Tätigkeit, Arbeitszeit, Arbeitsort und Vergütung (BAG, Urteil vom 27. Mai 2020 – 5 AZR 387/19). Spätestens in einem Prozess über Annahmeverzugslohnforderungen kann der Arbeitgeber sein Auskunftsbegehen widerklagend geltend machen. Ob er darüber hinaus einen Anspruch auf Offenlegung der Eigenbemühungen des unwirksam gekündigten Arbeitnehmers bei der Stellensuche, etwa über Online-Stellenportale wie StepStone, Indeed & Co., hat, ist noch nicht abschließend geklärt. In der Praxis empfiehlt es sich, die Auskunftsklage auch auf Eigenbemühungen zu erstrecken. Seine Chancen auf Reduzierung des Annahmeverzugslohnrisikos erhöhen findige Arbeitgeber weiter, indem sie einem gekündigten Arbeitnehmer während des Kündigungsschutzprozesses unaufgefordert Stellenanzeigen zu geeigneten Vakanzen übermitteln, idealerweise in Wohnortnähe des Arbeitnehmers. Damit lässt sich in einem späteren Rechtsstreit dokumentieren, dass es für den gekündigten Arbeitnehmer zumutbare anderweitige Erwerbsmöglichkeiten gab, die dieser nicht nachverfolgt hat. Die Darlegung- und Beweislast für das böswillige Unterlassen anderweitigen Erwerbs liegt beim Arbeitgeber.

Auf diese Art und Weise können Arbeitgeber das Prozessrisiko deutlich zu Lasten des Arbeitnehmers verringern. Dieser wird immer mehr wirtschaftlich gezwungen werden, sich schnell eine neue Beschäftigung zu suchen. Hat er dabei Erfolg, wird er in der Regel nicht zum alten Arbeitgeber zurückkehren wollen: Der anfängliche Erfolg im Kündigungsschutzverfahren zahlt sich für den Arbeitnehmer dann nicht oder deutlich weniger als erhofft aus. Arbeitgeber, die das nowendige „Durchhaltevermögen“ haben, können dadurch nicht nur Gehaltsnachzahlungen in voller Höhe, sondern teils erhebliche Abfindungszahlungen vermeiden.

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