COVID-19-Krise: FAQ zum neuen Entschädigungsanspruch für berufstätige Eltern nach § 56 Abs. 1a IfSchG

Orrick, Herrington & Sutcliffe LLP

Für berufstätige Eltern, die infolge der pandemiebedingten Schließung von Kindergarten, Kindertagesstätte und/oder Schule ihrer Arbeitspflicht nicht nachkommen können, hat der Gesetzgeber im Eilverfahren ein neues Gesetz verabschiedet (BT-Drucksache 19/18111). Wesentlich hierbei ist, dass diesen Eltern unter bestimmten Voraussetzungen ein Entschädigungsanspruch, der rechtlich vom vertraglichen Lohnanspruch zu unterscheiden ist, gewährt wird.

Durch die Neuregelung können sich auf Arbeitgeberseite verschiedene Fragestellungen ergeben. Es folgt eine Übersicht der häufigsten Fragen und ihrer Antworten.

  1. Welche Voraussetzungen hat der Entschädigungsanspruch?

    Der neuartige Entschädigungsanspruch ist in § 56 Abs. 1a IfSchG geregelt. Das Entstehen des Anspruchs setzt das kumulative Vorliegen folgender Voraussetzungen voraus:

    • Vorübergehende Schließung/Betretungsuntersagung von Kinderbetreuungseinrichtungen oder Schulen durch die zuständige Behörde zur Verhinderung der Verbreitung von Infektionen oder übertragbaren Krankheiten aufgrund dieses Gesetzes
      • Da verlangt wird, dass die Maßnahme „auf Grund dieses Gesetzes“ ergeht, kommt soweit ersichtlich als taugliche Ermächtigungsgrundlage bisweilen nur § 28 Abs. 1 IfSchG in Betracht.
    • Erwerbstätige Sorgeberechtigte oder Pflegeeltern von Kindern, die das 12. Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder behindert und auf Hilfe angewiesen sind, müssen die Kinder selbst betreuen
      • Das Sorgerecht ergibt sich aus § 1631 BGB. Im Falle einer Vollzeitpflege gem. § 33 SGB VIII sind die Pflegeeltern und nicht die Sorgeberechtigten anspruchsberechtigt.
    • Fehlen einer anderweitigen zumutbaren Betreuungsmöglichkeit für das Kind
      • nach Sinn und Zweck der Vorschrift ist jedenfalls keine zumutbare Betreuungsmöglichkeit gegeben, wenn diese von einer Person angeboten wird, die durch die Maßnahmen gerade geschützt werden soll (Stichwort: Risikogruppe). Zumutbar hingegen wäre dagegen beispielsweise die Betreuung durch Partner, Familienangehörige oder Freunde, die nicht einem besonderen Risiko ausgesetzt sind.
    • dadurch tritt ein Verdienstausfall auf Seiten der Sorgeberechtigten/Pflegeeltern ein
      • Der Verdienstausfall muss allein auf die Schließung/Betretungsuntersagung zurückzuführen sein und darf nicht auf anderen rechtlichen oder tatsächlichen Umständen beruhen. Ferner sind bestimmte Maßnahmen, die einen Verdienstausfall verhindern, aber gleichzeitig eine Kinderbetreuung ermöglichen, ausweislich der Gesetzesbegründung vorranging (z.B. Überstundenabbau oder Home Office).
    • Schließung der Einrichtung/Schule wäre nicht ohnehin aufgrund von (Schul-)Ferien erfolgt
      • Die Gesetzesbegründung liefert keine Antwort auf die Frage, wie sich die Schulferien zu dem Höchstentschädigungszeitraum von 6 Wochen verhalten. Nach unserer Auffassung spricht nach Sinn und Zweck der Regelung vieles dafür, dass Ferien lediglich zu einer zeitlichen Suspendierung des Anspruchs führen.
  2. Welche Folgen hat das Vorliegen dieser Voraussetzungen rechtlich für das Arbeitsverhältnis?

    Nach hier vertretener Auffassung führt das Vorliegen der Voraussetzungen dazu, dass dem Arbeitnehmer ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 3 BGB zuzusprechen ist, das bei Geltendmachung zu einer Unmöglichkeit der Arbeitsleistung führt. Dies führt nach § 326 Abs. 1 S. 1 BGB grundsätzlich dazu, dass der Arbeitnehmer auch seinen Lohnanspruch verliert. Es bleibt dann lediglich der Entschädigungsanspruch übrig.

    • Zur bisherigen Rechtslage s. unten unter 11.
  3. Ab wann gilt die neue Rechtslage?

    Die Regelung ist bereits zum 30. März 2020 in Kraft getreten und ist befristet bis zum 31. Dezember 2020.

  4. Wie hoch ist der Entschädigungsanspruch?

    Gem. § 56 Abs. 2 S. 4 IfSchG beträgt die Entschädigung 67% des entstandenen Verdienstausfalls. Für einen vollen Monat wird höchstens ein Anspruch in Höhe von EUR 2.016 gewährt.

  5. Für welchen Zeitraum ist der Entschädigungsanspruch zu leisten?

    Der Entschädigungsanspruch wird längstens für sechs Wochen gewährt, § 56 Abs. 2 S. 4 IfSchG.

    • Zum Verhältnis von Ferien und Entschädigungsanspruch s. 1.e).
  6. Wer ist zur Zahlung der Entschädigung verpflichtet?

    Grundsätzlich richtet sich der Entschädigungsanspruch gegen den Staat in Gestalt der zuständigen Behörde. § 56 Abs. 5 S. 1 IfSchG ordnet jedoch bei Arbeitnehmern für die Dauer des Arbeitsverhältnisses an, dass der Arbeitgeber für den Staat in Vorleistung zu gehen hat.

    Dem Arbeitgeber werden dann erst auf seinen Antrag hin die ausgezahlten Beträge durch die zuständige Behörde erstattet, § 56 Abs. 5 S. 2 IfSchG.

    • Arbeitgebern ist hier zu raten, bei der Berechnung und Auszahlung der Beträge größtmögliche Sorgfalt walten zu lassen. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die zuständige Behörde ihrerseits Ermittlungen bezüglich der Höhe der Entschädigung anstellen wird, sodass Ungereimtheiten zunächst zu Lasten des Arbeitgebers erfolgen würden.
  7. Wie bekomme ich als in Vorleistung gehender Arbeitgeber mein Geld von der zuständigen Behörde zurück?

    Die zuständige Behörde wird nach § 54 IfSchG durch die Landesregierung bestimmt werden. Es ist zu erwarten, dass entsprechende Anträge dann auch auf den jeweiligen Internetauftritten der zuständigen Behörden zugänglich gemacht werden.

    Wenngleich sich aus dem Wortlaut des § 56 Abs. 11 IfSchG nicht zwingend ergibt, dass die dort genannte Antragsfrist ebenfalls bei Entschädigungsansprüchen nach § 56 Abs. 1a IfSchG Anwendung findet, wird dringend dazu geraten, den Antrag innerhalb von den dort genannten drei Monaten ab dem Zeitpunkt der vorübergehenden Schließung/Betretungsuntersagung der Kinderbetreuungseinrichtungen/Schulen zu stellen.

  8. Was kann ein Arbeitgeber tun, wenn es aufgrund von Liquiditätsproblemen zu Engpässen bei Vorleistung der Entschädigung kommen kann?

    § 56 Abs. 12 IfSchG sieht vor, dass der Arbeitgeber auf seinen Antrag hin einen Vorschuss von der zuständigen Behörde in der voraussichtlichen Höhe des Erstattungsbeitrages verlangen kann. Zur zuständigen Behörde und dem Antrag als solchen wird auf 6. verwiesen.

  9. Was kann ein Arbeitgeber tun, wenn Zweifel daran bestehen, dass dem Arbeitnehmer keine anderweitige zumutbare Betreuungsmöglichkeit zur Verfügung steht?

    Gem. § 56 Abs. 1a S. 2 IfSchG kann der Arbeitgeber von seinem Arbeitnehmer lediglich verlangen, darzulegen, dass in diesem Zeitraum keine zumutbare Betreuungsmöglichkeit für das Kind besteht.

    • Näheres sieht die Regelung nicht vor, sodass hier entsprechende arbeitsrechtliche Vereinbarungen anzuraten sind, wie beispielsweise die explizite Vereinbarung einer Darlegungspflicht. Sollten sich die Angaben des Arbeitsnehmers als falsch herausstellen, können arbeitsrechtliche Folgemaßnahmen so beweissicher vorbereitet werden.
  10. Wie ist das Verhältnis von Entschädigungsanspruch und Kurzarbeitergeld?

    Wie sich aus der Gesetzesbegründung ergibt, schließt der Bezug von Kurzarbeitergeld (siehe unsere Erläuterungen zur Kurzarbeit) einen Entschädigungsanspruch gem. § 56 Abs. 1a IfSchG aus. Dies wird damit begründet, dass Sorgeberechtigte, die aufgrund der Anordnung von Kurzarbeit keine Arbeitsleistung erbringen müssen, selbst ihre Kinder betreuen können.

  11. Bisher musste der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer für diesen Sachverhalt gem. § 616 BGB für einen begrenzten Zeitraum den Lohn fortzahlen – ändert sich das durch die Neuregelung?

    Es ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber durch die Schaffung des § 56 Abs. 1a IfSchG für diesen Sachverhalt eine abschließende Regelung treffen wollte. Der Arbeitgeber wird also wohl nicht mehr für einen im Einzelfall umstrittenen Zeitraum zur Lohnfortzahlung gem. § 616 BGB verpflichtet sein. Dies ist insbesondere aus Gründen der Rechtssicherheit zu begrüßen.

    Weitergehende FAQs zum Umgang mit der Coronavirus-Pandemie im Arbeitsrecht finden Sie hier.

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