Durchsetzung von EU-Sanktionen – bald neue Befugnisse für die Europäische Staatsanwaltschaft?

Morrison & Foerster LLP

Jüngere Entwicklungen in der Europäischen Union („EU“) sowie politische Forderungen deuten darauf hin, dass die strafrechtliche Verfolgung von Sanktionsverstößen in der EU weiter intensiviert und gegebenenfalls sogar zentralisiert werden wird:

  • Am 28. November 2022 beschloss der Rat der Europäischen Union („Rat“) , die Liste der EU-Straftatbestände um den Verstoß gegen restriktive Maßnahmen der EU („Sanktionen“) zu erweitern. Damit sind insbesondere Sanktionsverstöße in Bezug auf Russland künftig Straftaten im Sinne des EU-Rechts (Art. 83 Abs. 1 AEUV). Sanktionsverstöße werden dadurch begrifflich gleichgesetzt mit Terrorismus, Menschenhandel und sexueller Ausbeutung von Frauen und Kindern, illegalem Drogenhandel, illegalem Waffenhandel, Geldwäsche, Korruption, Fälschung von Zahlungsmitteln, Computerkriminalität und organisierter Kriminalität.
  • Am 28. November 2022 forderten der deutsche Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann und sein französischer Amtskollege Éric Dupond-Moretti, die Zuständigkeit der Europäischen Staatsanwaltschaft („EUStA“) auf die Ermittlung und Verfolgung von Sanktionsverstößen auszudehnen, um die EU-Vorschriften zur Sanktionierung Russlands effektiver durchzusetzen.
  • Am 29. November 2022 erklärten die Justizministerinnen und Justizminister der G7-Staaten (Kanada, Frankreich, Deutschland, Italien, Japan, Vereinigtes Königreich und USA) bei einem Gipfeltreffen mit dem Justizminister der Ukraine, dem EU-Kommissar für Justiz und dem Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs sowie dem Generalstaatsanwalt der Ukraine und dem deutschen Generalbundesanwalt, dass die internationale Zusammenarbeit zur Aufklärung und Verfolgung von Kriegsverbrechen in der Ukraine intensiviert werden soll.
  • Seit dem 2. Dezember 2022 liegt ein Vorschlag für eine Richtlinie zur Definition von Straftatbeständen und Sanktionen bei Verstoß gegen restriktive Maßnahmen der Union der Europäischen Kommission vor. Der Richtlinienentwurf enthält u. a. Regelungen zu Strafen, zur Verantwortlichkeit juristischer Personen, zur Zuständigkeit der einzelnen Mitgliedstaaten sowie verfahrensrechtliche Regelungen, einschließlich der Zusammenarbeit nationaler und europäischer Strafverfolgungsbehörden.
  • Am 23. Januar 2023 teilte der EU-Kommissar für Justiz, Didier Reynders, auf eine parlamentarische Anfrage mit, dass die Europäische Kommission derzeit prüfe, welche Rolle die Europäische Staatsanwaltschaft bei der Ermittlung und Verfolgung von Sanktionsverstößen spielen könnte.

In diesem Client Alert gehen wir darauf ein:

  • wie in der EU Sanktionen gegen Russland durchgesetzt werden,
  • welche Befugnisse die EUStA gegenwärtig hat,
  • welche Folgen eine Zuständigkeitserweiterung der EUStA haben könnte und
  • wie Unternehmen hierauf reagieren sollten.

Sanktionsverstöße als EU-Straftaten – Harmonisierung und Verschärfung der Durchsetzung von EU-Sanktionen

Unterschiede und Defizite bei der mitgliedstaatlichen Sanktionsdurchsetzung

Seit Beginn des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine im Februar 2022 hat die EU neun Sanktionspakete mit restriktiven Maßnahmen gegen Russland erlassen. Diese umfassen individuelle Sanktionen gegen Individuen und Unternehmen sowie Wirtschafts- und Handelssanktionen, die insbesondere die technischen und finanziellen Voraussetzungen der Fortführung der militärischen Aggression vereiteln sollen. Die Durchsetzung der EU-Sanktionen, einschließlich der Strafverfolgung bei Sanktionsverstößen, obliegt den Behörden der EU-Mitgliedstaaten, die auf Grundlage ihres nationalen Verwaltungs- und Strafrechts tätig werden.

Die Anforderungen der EU-Sanktionsverordnungen an die mitgliedstaatliche Durchsetzung sind bislang eher allgemeiner Natur. Verordnung (EU) Nr. 269/2014 verlangt – wie die übrigen Sanktionsverordnungen der EU – von den Mitgliedstaaten insbesondere Folgendes:

  • Für Verstöße „Sanktionen, gegebenenfalls auch strafrechtliche Sanktionen“ festzulegen, die wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein müssen. Auch sind die zur Sicherstellung der Anwendung der Sanktionen erforderlichen Maßnahmen zu treffen.
  • Wechselseitige Information, insbesondere über eingefrorene Gelder, erteilte Genehmigungen, im Zusammenhang mit der Verordnung getroffene Maßnahmen sowie Verstöße, Vollzugsprobleme und Urteile, um die wirksame Anwendung der Verordnung zu gewährleisten.

Die Unterschiede bei der tatsächlichen Durchsetzung der Russland-Sanktionen der EU offenbart der Blick auf den Umfang der eingefrorenen Vermögensgüter: So waren nach Angaben des EU-Justizkommissars Didier Reynders Ende Oktober 2022 im Wesentlichen lediglich sieben EU-Mitgliedstaaten für das Einfrieren von Vermögenswerten russischer Herkunft in Höhe von damals rund 17 Milliarden € (am 16. Dezember 2022: rund 18,9 Milliarden €) verantwortlich.

Hinsichtlich der Verfolgung von Sanktionsverstößen ist der Befund ähnlich: Ausweislich einer Vergleichsstudie aus Dezember 2021 folgen aus der fehlenden Harmonisierung des anwendbaren Rechts auf EU-Ebene erhebliche Unterschiede bei der Durchsetzung und strafrechtlichen Ahndung von Verstößen gegen EU-Sanktionen in den Mitgliedstaaten.

Bereits erfolgte Verschärfungen in den Russland-Sanktionsverordnungen der EU

Die EU hat bereits verschiedene Maßnahmen in die Wege geleitet, um die Durchsetzung ihrer Russland-Sanktionen auf mitgliedstaatlicher Ebene einheitlicher und wirksamer zu gestalten.

Dies betrifft in besonderer Weise die Erfassung der eingefrorenen Gelder und Vermögensgegenstände sanktionierter Individuen und Unternehmen, hinsichtlich derer die Russland-Sanktionen der EU (anders als die zahlreichen weiteren Sanktionsregime) nun etwa Folgendes vorsehen:

  • Eine konkretisierte Pflicht aller EU-Bürger und Unternehmen (etwa der Banken), mitgliedstaatliche Behörden und die Europäische Kommission in Bezug auf eingefrorene Gelder oder Vermögensgegenstände insbesondere über mögliche Sanktionsverstöße dadurch, dass eingefrorene Vermögensgegenstände „nicht als eingefroren behandelt“ (also etwa an Dritte übertragen) wurden, zu informieren.
  • Einen Informationsaustausch zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten.
  • Eine Meldepflicht sanktionierter Personen hinsichtlich ihrer in der EU belegenen, vom Einfrieren betroffenen Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen gegenüber den zuständigen Behörden des Mitgliedstaats.

Die Harmonisierung umfasst auch die Strafverfolgung von Sanktionsverstößen:

  • Der Verstoß gegen die neu geschaffene Pflicht sanktionierter Personen, ihr eingefrorenes Vermögen zu melden, ist als eigenständiger Sanktionsverstoß ausgestaltet. Dieser ist von den Mitgliedstaaten als Verstoß gegen das Verbot der Umgehung von restriktiven Maßnahmen zu verfolgen.
  • Die Durchsetzungsvorkehrungen in Verordnung (EU) Nr. 269/2014 wurden um die Pflicht der Mitgliedstaaten ergänzt, geeignete Maßnahmen zur Einziehung der Erträge aus Sanktionsverstößen zu schaffen.

Neben dem Bestreben maximaler Wirksamkeit der EU-Sanktionen gegenüber Russland zeigt sich hier ein weiterer Zweck der Änderungen: Der Wiederaufbau der Ukraine soll nach Beendigung des russischen Angriffskrieges auch aus eingefrorenem Vermögen sanktionierter russischer Oligarchen und Unternehmen finanziert werden. Bei Verstoß gegen Straftatbestände kann eingefrorenes Vermögen beschlagnahmt und eingezogen werden. In die gleiche Richtung zielt der Vorschlag einer Richtlinie über die Abschöpfung und Einziehung von Vermögenswerten der Europäischen Kommission, der unter anderem die Entziehung von Erträgen aus Sanktionsverstößen vereinfachen möchte.

Umsetzung in Deutschland: Sanktionsdurchsetzungsgesetze I und II

Das in Deutschland am 28. Mai 2022 in Kraft getretene Sanktionsdurchsetzungsgesetz I dient der Umsetzung der unionsrechtlichen Vorgaben und zielt insbesondere darauf ab, den Behörden die notwendigen Befugnisse zu verleihen, um mit eingefrorenen Geldern und wirtschaftlichen Ressourcen sanktionierter Personen umgehen zu können:

  • Insbesondere schafft das Sanktionsdurchsetzungsgesetz I im Außenwirtschaftsgesetz Rechtsgrundlagen für Verwaltungsmaßnahmen zur Vermögensermittlung (Auskunftsersuchen, Vernehmung, Beschlagnahme, Durchsuchungsbefugnisse) sowie für die Sicherstellung und Verwahrung von Vermögensgegenständen und Geldern bis zur Aufklärung der Eigentumsverhältnisse. Dies soll unzulässige Verfügungen über eingefrorene Gelder oder Vermögensgegenstände sanktionierter Personen verhindern. Des Weiteren erfolgt eine Klarstellung der Zuständigkeit der Landesbehörden für die Wahrnehmung dieser Aufgaben.
  • Änderungen im Geldwäschegesetz erweitern den Zugang zum Transparenzregister sowie zu Kontoabfragen bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) auf Sanktionsbehörden und weisen der Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen (FIU) Aufgaben im Bereich der Sanktionsdurchsetzung zu. Auch das Kreditwesen-, Wertpapierhandel-, und Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetz wurden um Handlungsgrundlagen für die Durchsetzung der EU-Sanktionen erweitert. So kann die BaFin den Handel mit Finanzinstrumenten untersagen, wenn dies zur Durchsetzung eines von der EU beschlossenen Handelsverbotes erforderlich ist. Schließlich erfolgte eine Erweiterung der Datenübermittlungsbefugnisse zwischen beteiligten Behörden.
  • Im Außenwirtschaftsgesetz ist eine strafbewehrte Anzeigepflicht sanktionierter Personen hinsichtlich ihrer Gelder und wirtschaftlicher Ressourcen gegenüber der Bundesbank und dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) geregelt. Im Falle eines Verstoßes sieht das Gesetz eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder Geldstrafe, allerdings auch die Möglichkeit der Heilung durch Selbstanzeige vor.

Das am 28. Dezember 2022 in Kraft getretene Sanktionsdurchsetzungsgesetz II enthält weitere Maßnahmen, um die Wirksamkeit der Durchsetzung von EU-Sanktionen in Deutschland zu erhöhen. Insbesondere wurde auf dessen Grundlage zum 2. Januar 2023 bereits eine Zentralstelle für Sanktionsdurchsetzung (ZfS) auf Bundesebene als Direktion XI der Generalzolldirektion eingerichtet, um unbeschadet der im Außenwirtschafts­gesetz festgelegten Zuständigkeiten von BAFA und Bundesbank die Durchsetzung von Sanktionen zu gewährleisten und mit ausländischen Behörden zusammenzuarbeiten. Ferner schafft das Gesetz spezifische Befugnisse der Zentralstelle für die Ermittlung und Sicherstellung von Vermögen sanktionierter Personen und Unternehmen, trifft Verfahrensregelungen für Meldepflichten sanktionierter Personen und führt ein korrespondierendes Register für Vermögenswerte ein. Zudem wird eine Hinweisannahmestelle für Sanktionsverstöße geschaffen. Das Gesetz regelt weitreichende Überwachungsbefugnisse der Zentralstelle bei Verdacht von Sanktionsverstößen, einschließlich der Bestellung eines Sonderbeauftragten für Unternehmen, und trifft zahlreiche Änderungen zur Sicherstellung der Transparenz von Eigentümerstrukturen und Transaktionen (darunter: Überführung von Immobiliendaten in das Transparenzregister; Mitteilungspflicht von ausländischen Vereinigungen bei Bestandsimmobilien im Inland; Barzahlungsverbot bei Immobilientransaktionen; Nutzbarmachung von Eigentums- und Kontrollstrukturübersichten für Behörden; Pflicht zur Begründung der Meldung eines fiktiven wirtschaftlich Berechtigten im Geldwäscherecht).

Beschluss des Rates zur Erfassung des Sanktionsverstoßes als EU-Straftat und nächste Schritte

Angesichts der Unterschiede in der mitgliedstaatlichen Vollzugspraxis befürchtet der Rat trotz der bereits erfolgten Verschärfungen, dass die Mitgliedstaaten die Russland-Sanktionen nicht ausreichend wirksam durchsetzen. Vor diesem Hintergrund beschloss der Rat am 28. November 2022, Sanktionsverstöße in den Katalog der in Art. 83 Abs. 1 AEUV definierten „Kriminalitätsbereiche“ aufzunehmen. Diese sollen Fälle besonders schwerer Kriminalität umfassen, die aufgrund der Art oder der Auswirkungen der Straftaten oder aufgrund einer besonderen Notwendigkeit, sie auf einer gemeinsamen Grundlage zu bekämpfen, eine grenzüberschreitende Dimension haben. Vorangegangen war ein entsprechender Vorschlag der Europäischen Kommission vom 25. Mai 2022. Der Ratsbeschluss könnte Grundlage weiterer Maßnahmen zur Angleichung und Verschärfung der Verfolgung von Sanktionsverstößen sein:

  • Insbesondere können nunmehr durch eine Richtlinie „Mindestvorschriften zur Festlegung von Straftaten und Strafen“ der Mitgliedstaaten bei Verstößen gegen EU-Sanktionen festgelegt werden. Die Europäische Kommission hat am 2. Dezember 2022 einen Vorschlag für eine Richtlinie zur Definition von Straftatbeständen und Sanktionen bei Verstoß gegen restriktive Maßnahmen der Union veröffentlicht, der insbesondere die präzise Definition bestimmter Straftatbestände in Form von (vorsätzlichen oder grob fahrlässig begangenen) Sanktions- und Verfahrenspflichtverstößen (darunter auch des Tatbestandes der „Umgehung einer restriktiven Maßnahme“ durch bestimmte Handlungen, den Deutschland derzeit nicht als Straftat verfolgt) vorsieht. Der Richtlinienentwurf enthält außerdem Vorgaben zu Strafen, zur Verantwortlichkeit juristischer Personen, zur Zuständigkeit der einzelnen Mitgliedstaaten sowie verfahrensrechtliche Regelungen, einschließlich der Zusammenarbeit nationaler und europäischer Strafverfolgungsbehörden. Der Richtlinienentwurf muss nun von Rat und Europäischem Parlament im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren angenommen werden.
  • Darüber hinaus eröffnet die Einbeziehung von Sanktionsverstößen in den Kreis der EU-Straftaten die Möglichkeit, die Strafverfolgung in jenem Kriminalitätsbereich künftig gemäß Art. 86 Abs. 4 AEUV der EUStA zu übertragen. Die Justizminister Frankreichs und Deutschlands, Éric Dupond-Moretti und Marco Buschmann, haben eben dies kürzlich öffentlich gefordert: Die Ausweitung der Zuständigkeit der EUStA auf Sanktionsverstöße sei erforderlich, damit die restriktiven Maßnahmen der EU, insbesondere im Kontext des russischen Angriffs auf die Ukraine, ihre volle Wirkung entfalten könnten. Voraussetzung hierfür ist neben der Zustimmung des Europäischen Parlaments und der Anhörung der Europäischen Kommission ein einstimmiger Ratsbeschluss.

Kompetenzen der EUStA

Die EUStA hat sich seit Beginn ihrer operativen Arbeit im Juni 2021 in kürzester Zeit als äußerst schlagkräftige neue Ermittlungsbehörde für grenzüberschreitende Fälle von Wirtschaftskriminalität mit EU-Bezug erwiesen. Es steht zu erwarten, dass die EUStA sich aufgrund ihrer institutionellen Eigenständigkeit und ihrer besonderen fachlichen und rechtlichen Kompetenzen in den kommenden Jahren als die europaweit führende Ermittlungsbehörde etablieren wird. Unternehmen, die grenzüberschreitend in Europa tätig sind, sollten mit der Arbeitsweise der EUStA vertraut sein, um mit Verdachtsfällen, die in die Zuständigkeit der EUStA fallen, angemessen und vorausschauend umzugehen. Sollte die politische Forderung nach einer Zuständigkeit der EUStA für Sanktionsverstöße Realität werden, würde die EUStA nur noch mehr an Bedeutung gewinnen.

Zuständigkeit der EUStA

Als unabhängige Staatsanwaltschaft der EU ist die EUStA sachlich zuständig für die strafrechtliche Untersuchung, Verfolgung und Anklageerhebung in Bezug auf Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der EU (Art. 86 Abs. 1 AEUV).

Die EUStA ist befugt, wegen folgender Delikte zu ermitteln:

  • grenzüberschreitender Umsatzsteuerbetrug mit einem Gesamtschaden von mindestens 10.000.000 €;
  • andere Formen des Betrugs zum Nachteil der finanziellen Interessen der EU;
  • Korruption, durch die die finanziellen Interessen der EU geschädigt werden oder geschädigt werden können (z. B. Bestechung von EU-Bediensteten);
  • unrechtmäßige Erlangung von Mitteln oder Vermögenswerten der EU durch einen öffentlichen Bediensteten (z. B. Subventionsbetrug);
  • Geldwäsche und organisierte Kriminalität sowie andere Straftaten, die mit einer der vorstehend genannten Kategorien untrennbar verbunden sind.

Örtlich zuständig ist die EUStA, wenn diese Straftaten

  • ganz oder teilweise im Hoheitsgebiet eines oder mehrerer teilnehmender EU-Mitgliedstaaten begangen wurden;
  • von einem Staatsangehörigen eines teilnehmenden EU-Mitgliedstaats begangen wurden;
  • von einer Person begangen wurde, die dem Statut oder den Beschäftigungsbedingungen für die Bediensteten der Europäischen Union unterlag.

Von den 27 EU-Mitgliedstaaten gehören 22 Länder zur EUStA-Zone. Ungarn, Polen, Schweden, Dänemark und Irland der EUStA haben bislang keine Kompetenzen übertragen.

Für Straftaten, die nicht in die Ermittlungsbefugnis der EUStA fallen, bleiben die nationalen Strafverfolgungsbehörden zuständig.

In Deutschland ermittelt die EUStA auch gegen juristische Personen und Personenvereinigungen wegen einer Ordnungswidrigkeit, soweit die Ordnungswidrigkeit untrennbar mit einer Straftat gegen den EU-Haushalt verbunden ist oder sofern sie zuständigkeitshalber bereits ein Ermittlungsverfahren gegen eine Leitungsperson des Unternehmens führt.

Neben der EUStA gibt es auf EU-Ebene noch andere Einrichtungen, die für die Kriminalitätsbekämpfung zuständig sind, und mit denen die EUStA eng zusammenarbeitet.

 

  • OLAF: Das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) ist zuständig für Untersuchungen in verwaltungsrechtlichen Sachverhalten, wenn ein Verdacht wegen Betruges und ähnlichen rechtswidrigen Handlungen im Zusammenhang mit EU-Geldern vorliegt. Mangels eigener Strafverfolgungsbefugnis arbeitet OLAF eng mit der EUStA zusammen.
  • Eurojust: Die Agentur der Europäischen Union für justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (Eurojust) verknüpft nationale Justizbehörden der EU-Mitgliedstaaten sowie Drittstaaten und koordiniert die grenzüberschreitende Strafverfolgung zur Bekämpfung schwerer organisierter Kriminalität.
  • Europol: Europol koordiniert polizeiliche Ermittlungen in ganz Europa und kann in bestimmten Fällen auch selbst ermitteln.
  • EJN: Daneben dient das European Judicial Network (EJN) als Netzwerk von Kontaktstellen für die grenzüberschreitende justizielle Zusammenarbeit.

 

Organisation der EUStA

Die zentrale EUStA-Behörde mit Sitz in Luxemburg wird geleitet von der Europäischen Generalstaatsanwältin Laura Codruţa Kövesi (Rumänien). Zusammen mit je einem Staatsanwalt aus den 22 teilnehmenden Mitgliedstaaten bildet sie das Kollegium der EUStA. Dieses ist zuständig für Strategie und interne Vorschriften der Behörde.

Auf nationaler Ebene sind die Delegierten Europäischen Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in den 22 teilnehmenden Mitgliedstaaten sowie den Ständigen Kammern tätig. Dort tauschen sich die Europäischen Staatsanwälte regelmäßig aus und treffen Ermittlungs- und Anklageentscheidungen. In jedem Mitgliedstaat gibt es mindestens zwei Delegierte Europäische Staatsanwälte, die unter Aufsicht der zentralen Behörde in Luxemburg unabhängig von ihren nationalen Behörden ermitteln, verfolgen und anklagen. Dabei agieren sie weiterhin unter Beachtung ihrer nationalen Straf- und Strafprozessgesetze. Im Unterschied zu ihren nationalen Kollegen ermitteln sie unabhängig von etwaigen nationalen Weisungsbefugnissen. Vielmehr steht ihnen sogar ein Weisungsrecht gegenüber den nationalen Behörden des Mitgliedstaates zu. In Deutschland haben die Delegierten Europäischen Staatsanwälte ihre Dienstsitze in Berlin, Frankfurt am Main, Hamburg, Köln und München.

Arbeitsweise der EUStA

Erhält die EUStA Kenntnis von Sachverhalten, die in ihren Zuständigkeitsbereich fallen könnten, prüft sie Anfangsverdacht und Ermittlungsbefugnis. Anzeigen können dabei sowohl von Bürgern als auch von nationalen Behörden kommen. Nimmt die EUStA die Ermittlungen auf, haben die nationalen Behörden eigene Untersuchungen im selben Fall zu unterlassen (Evokationsrecht der EUStA).

Die operative Ermittlungsarbeit findet weiterhin auf nationaler Ebene statt. Die Delegierten Europäischen Staatsanwälte ermitteln auf Grundlage der nationalen Gesetze des Mitgliedsstaates und beantragen richterliche Entscheidungen vor den nationalen Gerichten. Erhebt die EUStA Anklage, erfolgen Hauptverhandlung und gegebenenfalls Verurteilung vor einem nationalen Gericht. Für Rechtsmittel steht der nationale Rechtsweg offen.

Die Arbeitsweise der EUStA ist digital. Ihr Case Management System erlaubt es ihr, sehr große Datenmengen entgegenzunehmen, zu verarbeiten und auszuwerten. Gespeist wird das System aus unterschiedlichen Quellen (z. B. Angaben von Privatpersonen sowie von europäischen und nationalen Behörden). Der Zugriff auf internationale Netzwerke und der unbürokratische Austausch zwischen den Delegierten Europäischen Staatsanwälten über Landesgrenzen hinweg ermöglichen den Ermittlern eine zügige Verfahrensführung. Bei grenzüberschreitenden Sachverhalten werden die Doppelarbeit gleichzeitig ermittelnder nationaler Staatsanwaltschaften vermieden und Ermittlungskompetenzen stattdessen gebündelt. Durch die Zusammenarbeit mit anderen internationalen und nationalen Verfolgungsbehörden können so beispielsweise hunderte Durchsuchungen in verschiedenen Ländern gleichzeitig erfolgen.

Praktische Bedeutung der EUStA

Die Bilanz der EUStA seit Beginn ihrer operativen Arbeit im Juni 2021 belegt ihre Schlagkraft:

  • Nach offiziellen Angaben waren zum 31. Dezember 2021 515 Ermittlungsverfahren mit einem geschätzten Gesamtschaden von 5,4 Mrd. € anhängig. Davon entfallen rund 2,5 Mrd. € auf systematischen Umsatzsteuerbetrug. Die meisten Ermittlungsverfahren führte die EUStA in Italien und Bulgarien. In Deutschland wurden 54 Verfahren geführt.
  • Am 29. November 2022 teilte die EUStA mit, den vermutlich größten jemals in der EU ermittelten Umsatzsteuerbetrug, der auf dem systematischen Verkauf beliebter elektronischer Waren beruhte, aufgedeckt zu haben. Hunderte Personen seien in über 30 Ländern beteiligt gewesen. Die Ermittlungen reichten von Portugal bis nach Asien. In 14 Ländern wurden unter Leitung der EUStA mehr als 200 Durchsuchungen gleichzeitig durchgeführt. Der Gesamtschaden beträgt nach Schätzungen 2,2 Mrd. €.
  • Die EUStA ermittelt aber nicht nur bei Schäden in Milliardenhöhe, sondern verfolgt auch bei weniger eindrucksvollen Summen konsequent: Am 10. Januar 2023 gab die EUStA bekannt, dass sie in Rumänien Anklage gegen ein italienisches Bauunternehmen und seine Vertreter erhoben habe. Dem Unternehmen und seinen Vertretern wird vorgeworfen, betrügerische Rechnungen in Höhe von insgesamt 101.000 € für nicht vorgenommene Arbeiten eingereicht zu haben, um auf diese Weise in betrügerischer Weise Gelder aus dem EU-Haushalt zu erhalten. Den Angeklagten drohen Haftstrafen von bis zu sieben Jahren.
Voraussetzungen einer Zuständigkeitserweiterung der EUStA für Sanktionsverstöße

Die Befugnisse der EUStA können gemäß Art. 86 Abs. 4 AEUV auf andere grenzüberschreitende Straftaten ausgedehnt werden. Dies würde einen Beschluss des Europäischen Rates voraussetzen, die Strafverfolgungsbefugnis auf einen oder sämtliche der in Art. 83 Abs. 1 AEUV genannten „Kriminalitätsbereiche“ auszuweiten. Hier kommt die aktuelle Erweiterung des EU-Straftatenkataloges um Verstöße gegen EU-Sanktions­vorschriften ins Spiel. Da diese nun Teil des Kataloges in Art. 83 Abs. 1 AEUV sind, könnte in einem nächsten Schritt die entsprechende Änderung von Art. 86 Abs. 1 AEUV folgen. Der EUStA würde dann auch insoweit eine Ermittlungsbefugnis erteilt, die von den Mitgliedstaaten der EUStA-Zone anzuerkennen wäre. Zügige und einheitliche Ermittlungsverfahren könnten die Folge sein. Nationale Staatsanwaltschaften, die aktuell mit der Bearbeitung von Sanktionsverstößen betraut sind, würden entlastet.

Handlungsempfehlungen für die Praxis

Einem Unternehmen, das aufgrund von Anzeichen für die Begehung einer unternehmensinternen Straftat interne Ermittlungen durchführt, sollte zum einen bekannt sein, dass im Fall des Verdachts einer EU-Straftat nicht nur nationale Staatsanwaltschaften ermitteln und ggf. Zwangsmaßnahmen wie Durchsuchungen von Geschäftsräumen ergreifen könnten. Es steht zu erwarten, dass die EUStA von ihrem Evokationsrecht Gebrauch macht und die Ermittlungen an sich zieht, wenn ein Sachverhalt in ihre Zuständigkeit fällt. Zwar werden weiterhin inländische Staatsanwältinnen oder Staatsanwälte handeln und bei ihren Ermittlungen mit inländischen Verfolgungsbehörden zusammenarbeiten. Die Ermittlungen führt die EUStA mit Hilfe dieser Delegierten Staatsanwälte aber in eigener Zuständigkeit weitgehend autonom. Hat ein Unternehmen Hinweise auf Fehlverhalten, sollte vorausschauend geklärt werden, ob die Zuständigkeit der EUStA begründet sein könnte. Auch die Durchführung interner Ermittlungen und die Entscheidung, ob mit Strafverfolgungsbehörden kooperiert werden sollte, sind diesen neuen Gegebenheiten anzupassen.

Zum anderen bleibt abzuwarten, ob die EUStA auch für die Verfolgung von Sanktionsverstößen ein Mandat erhalten wird. Unbeschadet einer etwaigen Ausdehnung der Zuständigkeit der EUStA für Sanktionsverstöße zeichnet sich im Bereich der Sanktionsdurchsetzung eine verschärfte und unionsweit vereinheitlichte Strafverfolgung ab. Der Richtlinienentwurf der Europäischen Kommission zur Definition von Straftatbeständen und Sanktionen bei Verstoß gegen restriktive Maßnahmen der Union verpflichtet die Mitgliedstaaten nicht nur, Sanktionsverstöße in Zukunft mit den Mitteln des Strafrechts unter Androhung empfindlicher Geld- und Gefängnisstrafen zu bekämpfen. Nach der Richtlinie sollen mitgliedstaatliche Behörden, Europol, Eurojust, die Europäische Kommission sowie die EUStA – soweit jeweils zuständig – bei der Verfolgung von Sanktionsverstößen zusammenarbeiten und sich koordinieren.

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