Wachsende Bedeutung der Unternehmenskultur

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Latham & Watkins LLPWas Unternehmen aus einem der größten Baseball-Skandale lernen können

Selten hatte die juristische Aufarbeitung sportlicher Verfehlungen einen so großen Nachhall wie zuletzt beim „Sign Stealing“ in der Major League Baseball (MLB): Dieser sog. Astros-Fall lehrt allen Compliance- und Rechtsabteilungen eine rechtliche Lektion über die „Corporate-Culture“ – die von und in einem Unternehmen gelebte Kultur. Der Fall gilt als jüngstes Beispiel dafür, welchen Maßstab Unternehmen an ihre „Compliance-Culture“ bzw. „Corporate-Culture“ anlegen müssen und welche massiven Konsequenzen drohen, wenn diese vernachlässigt wird.

Die wichtigste Lektion lautet dabei vorab: Die Unternehmenskultur wird von den Aufsichtsbehörden weltweit als ein wichtiges Kriterium für die Höhe etwaiger Sanktionen gegen Unternehmen herangezogen. Das gilt derzeit vor allem für eine Reihe von ausländischen Aufsichtsbehörden, wird aber auch in Deutschland noch mehr an Bedeutung gewinnen.

Der Houston Astros-Fall

Im Januar 2020 veröffentlichte der Commissioner der MLB (die Position entspricht etwa der des DFB-Präsidenten) eine Erklärung, in der er den Houston Astros einen Verstoß gegen die Vorschriften zum sog. „Sign Stealing“ in der Saison 2017 vorwarf: Die Spieler der Astros analysierten regelwidrig die Spieltaktik ihrer Gegner und gaben die Ergebnisse während eines laufenden Spiels an die Mitspieler weiter.[1] Konkret ging es dabei um die Zeichen („Signs“), die dem Werfer der gegnerischen Mannschaft signalisieren, welche Art von Wurf er durchzuführen hat. Die Kenntnis der Bedeutung der Zeichen gibt dem eigenen Schlagmann einen entscheidenden Spielvorteil. Er weiß, was auf ihn zukommt. Besonders brisant an den Vorfällen: Die Astros gewannen in der gegenständlichen Saison 2017 die sog. World Series und damit den Titel der besten amerikanischen Baseballmannschaft.

Es wurden mehrere hochrangige Führungskräfte zunächst durch den Verband suspendiert und dann vom Vereinseigentümer entlassen – und dies, obwohl diese Personen nicht unmittelbar an dem Regelverstoß der Astros beteiligt waren. Der Commissioner führte aus, dass es der General Manager der Astros unterlassen habe, adäquate Maßnahmen einzuführen, um sicherzustellen, dass die Regelungen befolgt werden. Der Field Manager erlangte darüber hinaus im Verlauf der Saison Kenntnis von dem Betrugssystem, wies aber niemanden direkt an, den Regelverstoß zu unterbinden und zu unterlassen.

Neben den Individualsanktionen gegen einzelne Manager wurde der Verein mit der höchstmöglichen nach den Statuten der MLB vorgesehenen Geldbuße sanktioniert. Diese wurde insbesondere mit dem Fehlen einer positiven Vereins- bzw. Unternehmenskultur begründet.

Die Lektionen aus dem Astros-Fall

  • Unternehmenskultur wird von Aufsichtsbehörden beachtet

Eine richtige Unternehmenskultur gewinnt für Aufsichtsbehörden mehr und mehr an Bedeutung. Das US-Justizministerium (Department of Justice, DOJ) etwa betonte zuletzt in dem Anfang 2019 neu eingeführten Leitfaden zur Bewertung von Corporate Compliance-Programmen auch die „Kultur“ der Compliance.[2]

Dieser Trend ist nicht nur in den USA zu beobachten: Auch die britische Financial Conduct Authority (FCA) hob in ihren Leitlinien von 2018 die Bedeutung einer richtigen Unternehmenskultur hervor und gab auch an, was sie unter einer solchen versteht.[3] Ersteres gilt auch für den deutschen Referentenentwurf zum „Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“ (Verbandssanktionengesetz, „VerSanG“) vom 20. April 2020, der von Unternehmen bisweilen sogar einen „nachhaltigen Kulturwandel“ verlangt.[4]

  • Unternehmenskultur muss vorgelebt werden („tone from the top“ und „tone from the middle“)

Unternehmensleiter müssen die richtige Unternehmenskultur aktiv vorleben. Auch dieser Aspekt findet sich in den neuen Leitlinien des DOJ zu Corporate Compliance-Programmen. Das von vielen oft als Floskel wahrgenommene Grundelement von Compliance Management Systemen eines „tone from the top“ bekommt somit Zähne. Mehr noch: Das geforderte Vorleben der richtigen Unternehmenskultur wird nun ausdrücklich auch von dem mittleren Management erwartet. Bei der Bewertung der Führungskräfte soll konkret berücksichtigt werden, wie sie „durch ihre Worte und Handlungen die Einhaltung von Standards gefördert oder verhindert haben“ und welche „konkreten Maßnahmen sie ergriffen haben, um die Einhaltung von Standards durch die Unternehmensleitung zu demonstrieren“.

Bei den Astros fehlte insbesondere der „tone from the middle“, da der Bench Coach (dieser steht unter dem Field Manager im mittleren Management) am Regelverstoß aktiv beteiligt war.

  • Zuwiderhandlungen unterbinden

Die Unternehmensführung muss Regelverstößen unmittelbar nach ihrer Aufdeckung nachgehen und sie unterbinden. Inkonsequentes Handeln könnten andernfalls nicht nur als Duldung, sondern auch als Ermutigung zu weiterem Fehlverhalten verstanden werden. Konsequentes Handeln bedeutet dabei auch sicherzustellen, dass die eigenen Anweisungen tatsächlich befolgt werden.

Die Manager der Astros unterließen es, den Regelverstoß zu unterbinden. Zwar drückte der Field Manager seine Ablehnung zum „Sign Stealing“ aus. Er unterband weitere Regelverstöße jedoch nicht und wendete sich auch nicht hilfesuchend an den General Manager.

  • Nicht nur „speak up“, sondern auch „listen up“-Kultur

Zu einer positiven Unternehmenskultur gehört nicht nur, Leitlinien durch klare Anweisungen vorzugeben („speak up“). Wichtig ist es, auch ein Umfeld zu schaffen, in dem offene Kritik erlaubt, gewünscht und zugelassen wird und geäußerte Missstände tatsächlich auch adressiert werden („listen up“).

Bei den Astros wurden zwar teilweise – auch seitens einzelner Spieler – Bedenken gegen das „Sign Stealing“ geäußert. Diese wurden jedoch von den Verantwortlichen nicht aufgenommen und führten zu keinen Maßnahmen des Managements.

  • Kurzfristige Ziele dürfen die Unternehmenskultur nicht dominieren

Kurzfristige Ziele und eine Kultur des „Gewinnens um jeden Preis“ schaffen ein großes Risiko. Führungskräfte und Mitarbeiter sollen deshalb insbesondere die langfristigen Konsequenzen ihrer Handlungen berücksichtigen. Dies gilt etwa auch bei der Evaluierung der eigenen Mitarbeiter.

Die Unternehmenskultur der Astros stellte „Erfolg über Bedenken“ und war damit letztlich ein entscheidender Faktor, der zu dem weitreichenden Regelverstoß führte.

  • Fehlverhalten wirksam sanktionieren

Unternehmen müssen bei auftretendem Fehlverhalten unmissverständliche und wirksame Sanktionen verhängen.

Dies bedeutete im Astros-Fall, dass der Vereinseigentümer der Astros den General Manager und den Field Manager fristlos entließ, obwohl sie bereits durch die MLB suspendiert wurden.

Relevanz für deutsche Unternehmen

Die im Astros-Fall beschriebene Argumentation kann auch auf die Rechtslage in Deutschland übertragen werden. So könnte sie hierzulande zu einer möglichen Aufsichtspflichtverletzung oder gar einer Strafbarkeit wegen Unterlassens (sog. Geschäftsherrenhaftung) führen. Dies könnte spürbare Sanktionen gegen Unternehmen in Form einer Verbandsgeldbuße auslösen.

Die vorgezeichnete Entwicklung wird sich verschärfen. Auch in Deutschland müssen Unternehmen eine positive Unternehmenskultur etablieren und fortlaufend evaluieren: Wie der Referentenentwurf zum VerSanG andeutet, wird künftig die Unternehmenskultur bei der Bemessung der Sanktionshöhe auch in Deutschland zunehmend an Bedeutung gewinnen. So sieht § 17 Abs. 3 RefE in der Fassung vom 20. April 2020 ausdrücklich vor, dass Gerichte den richtigen internen Umgang mit Fehlverhalten nun explizit als Milderungsmöglichkeit berücksichtigen dürfen. Damit wird letztlich eine Milderungsmöglichkeit infolge einer richtigen Unternehmenskultur normiert.

Fazit

Der Astros-Fall wird seinen Weg in viele Compliance-Schulungen finden. Er zeigt sehr gut, worum es bei einer positiven Unternehmenskultur geht und sensibilisiert für mögliche Fallstricke. Eine positive „Corporate-Culture“ ist wichtig. Das haben auch Aufsichtsbehörden in den USA, Europa und der ganzen Welt bereits erkannt: Sie ziehen zunehmend die Kultur bei der Bewertung der Verantwortlichkeit von Führungskräften und Unternehmen sowie insbesondere der Bemessung von Sanktionen heran. Letzten Endes geht es hierbei auch um Zurechnungsfragen oder die Identifikation einer Indizienkette.

In einem ersten Schritt müssen Unternehmen eigene Werte identifizieren und eine entsprechende Unternehmenskultur definieren und aufbauen. Der zweite und ebenso wichtige Schritt ist die fortlaufende Überwachung und Evaluierung der eigenen Unternehmenskultur. Nur so kann sichergestellt werden, dass bei behördlichem Einschreiten am Ende auch die Früchte der eigenen Anstrengungen geerntet werden können.

Wichtig ist, dass die Unternehmenskultur nicht allein zugunsten eines Unternehmens berücksichtigt werden kann, sondern selbstredend auch zu seinen Lasten. Unternehmen und deren Führungskräfte werden also immer mehr an ihren Taten und nicht nur an ihren Worten gemessen.

[1]              Statement of the Commissioner vom 13. Januar 2020, abrufbar unter https://img.mlbstatic.com/mlb-images/image/upload/mlb/cglrhmlrwwbkacty27l7.pdf.

[2]              DOJ, Evaluation of Corporate Compliance Programs, abrufbar unter https://www.justice.gov/criminal-fraud/page/file/937501/download; s. hierzu auch Hauser/von Laufenberg, CCZ 2019, 236 ff.

[3]              FCA Discussion Paper, Transforming Culture in Financial Services, März 2018.

[4]              RefE eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft vom 20.04.2020, S. 99.

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