"Erzeugerwohl" ist nicht "Tierwohl" – Bundeskartellamt untersagt Preisaufschläge in der Milchbranche

Hogan Lovells

Bereits letzte Woche hatten wir zur Fallpraxis des Bundeskartellamts („BKartA“) im Bereich des „grünen Kartellrechts“ berichtet. Diese Woche hat die Behörde gleich nachgelegt. Dabei gab es nun aber (erstmals) Gegenwind für die betroffenen Unternehmen: Vertreter der deutschen Milchwirtschaft sind mit ihrem Anliegen gescheitert, ein einheitliches Finanzierungskonzept für Rohmilcherzeuger an den Markt zu bringen. In diesem Beitrag erläutern wir die Gründe und ordnen die Position des BKartA in den Gesamtkontext ein.

Hintergrund: (Zu) niedrige Rohmilchpreise

In unserem letzten Beitrag hatten wir bereits auf die Herangehensweise des BKartA im Bereich ESG, Nachhaltigkeit und Umweltschutz hingewiesen. Das BKartA hat für Kooperationen im Bereich ESG, Nachhaltigkeit und Umweltschutz bisher keine allgemeinen Leitlinien veröffentlicht, sondern geht auf Einzelfallbasis vor. Das BKartA lädt hierbei interessierte Unternehmen zum Dialog ein, gibt konkrete Hilfestellung bei der Ausgestaltung ihrer Nachhaltigkeitskooperationen und prüft entsprechende Vorhaben auf ihre kartellrechtliche Vereinbarkeit.

Nun haben Vertreter der deutschen Milcherzeuger im sog. „Agrardialog Milch“ dem BKartA ein Finanzierungskonzept für die Milchbranche vorgestellt. Dabei sollten zunächst die durchschnittlichen Kosten der Milcherzeugung für landwirtschaftliche Betriebe branchenweit ermittelt werden. Diese sollten dann den Ausgangspunkt für einheitliche Aufschläge auf den Milch-Grundpreis bilden. Dieser Aufschlag sollte als bindender Bestandteil in den Verträgen zwischen Erzeugern, Molkereien und Lebensmitteleinzelhandel verankert und im Weiteren laufend angepasst werden. Hintergrund ist das aus Sicht der Milcherzeuger unangemessen niedrige, nicht kostendeckende Niveau der Milchpreise in Deutschland. Der Preisaufschlag sollte daher die Rohmilcherzeuger direkt begünstigen.

Wertung des BKartA: Preiskoordinierung ohne konkrete Freistellungsmöglichkeit

Das BKartA hält dieses Finanzierungsmodell für kartellrechtlich nicht zulässig. Im Kern gehe es um die Verabredung von Preisaufschlägen, die die gesamte Lieferkette umfassen und quasi „vom Euter bis zum Milchregal“ durchgereicht werden. Wegen der angestrebten branchenweiten Geltung des Projekts laufe das Modell auf eine flächendeckende Erhöhung der Milchpreise hinaus, ohne dass für Verbraucher:innen noch die Möglichkeit bestünde, auf günstigere Alternativen auszuweichen.

Eine Möglichkeit zur „Rechtfertigung“ dieses Modells – sprich: einer ausnahmsweisen Einzelfreistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV bzw. § 2 GWB – sah das BKartA nicht. Zwar seien „Gemeinwohlziele wie Nachhaltigkeit“ rechtlich anerkannt, also auch im Kartellrecht berücksichtigungsfähig. Die Unternehmen hätten zur Rechtfertigung ihres Modellvorschlags aber lediglich vorgebracht, dass damit „ein branchenweiter Beitrag zur Finanzierung der Transformation der heimischen Landwirtschaft erbracht werden“ könne. Nachhaltigkeitsaspekte spielten bei dem Finanzierungsmodell – trotz des unmittelbaren Bezugs zur Landwirtschaft – gerade keine Rolle. Insbesondere sehe das Konzept keinerlei konkrete Produktionskriterien für die Rohmilch mit Blick auf Nachhaltigkeitsaspekte vor. Das wirtschaftliche Interesse an einem höheren Einkommensniveau könne aber für sich genommen, so das BKartA, keine Freistellung rechtfertigen.

Einordnung: „Irgendwas mit Tieren“ – das reicht nicht

Das vorgestellte Modell sah – so der Wortlaut der BKartA-Pressemitteilung – eine „nachträgliche Preisstabilisierung“ zugunsten der Erzeuger vor. Damit wird sich einer Formulierung bedient, die Kartellrechtler:innen sofort in Habachtstellung versetzt: Preisabsprachen werden üblicherweise als gravierendste Form der Wettbewerbsbeschränkung verstanden, sodass schon die Wortwahl verdeutlicht, dass die beteiligten Unternehmen sich hier kein leichtes Gefecht gewählt hatten.

Dementsprechend überrascht es nicht, dass das BKartA eine klare Demarkationslinie gezogen hat. So lässt sich Behördenpräsident Andreas Mundt mit den Worten zitieren: „Wenn […] Preisbestandteile abgesprochen werden, sind die Grenzen des Kartellrechts klar überschritten.“ Damit knüpft die Behörde auch unmittelbar an die aus ihrer Fallpraxis herleitbaren Kriterien an, wonach Auswirkungen einer Wettbewerberkooperation auf die Abgabepreise, insbesondere durch Einführung von koordinierten Mindestpreisen oder Preisaufschlägen, kritisch zu sehen sind.

Die angepeilte Kooperation konnte auch nicht von Sonderbestimmungen des Agrarsektors profitieren. Zwar ist der Agrarsektor bereits heute in vielfacher Hinsicht von kartellrechtlichen Vorgaben ausgenommen. Insbesondere macht seit letztem Dezember Art. 210a der EU-Verordnung über eine gemeinsame Marktorganisation für landwirtschaftliche Erzeugnisse („GMO“) unter bestimmten Voraussetzungen Kartellrechtsausnahmen für Nachhaltigkeitsinitiativen entlang der Wertschöpfungskette möglich. Tatsächlich erlaubt diese Vorschrift im Hinblick auf bestimmte landwirtschaftliche Erzeugnisse (darunter auch Milch und Milchprodukte) sogar preisbezogene Abstimmungen zwischen landwirtschaftlichen Erzeugern untereinander sowie zwischen landwirtschaftlichen Erzeugern und anderen Akteuren der Wertschöpfungskette (siehe dazu auch unsere Beiträge im Kartellrechts-Radar Herbst 2021 sowie hier).

Aber: zum einen gilt dies nur für Abstimmungen, die darauf abzielen, Umwelt-, Tiergesundheits- oder Tierschutzstandards umzusetzen, die höher (d.h. strenger) sind als durch europäisches oder nationales Recht ohnehin schon vorgeschrieben. Zum anderen müssen – selbst wenn eine solche Zielsetzung besteht – die daraus erwachsenden Vorteile für das öffentliche Interesse die Nachteile für die Verbraucher:innen aufwiegen und es dürfen nur Beschränkungen vereinbart werden, die für die Erreichung des Ziels unverzichtbar sind.

Hier aber konnte die geplante Kooperation bereits die erste Hürde nicht nehmen, da keine höheren Tierschutz- oder sonstigen Standards verfolgt werden sollten. Vielmehr hatte das Vorhaben nach den Ermittlungen des BKartA rein monetäre Ziele, da es an konkreten Produktionskriterien für die Rohmilch gerade fehlte.

Fazit und Ausblick: „Grünes Kartellrecht“ ist eben auch Kartellrecht

Es zeigt sich somit, dass trotz der grundsätzlichen Bereitschaft des BKartA zur Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsbelangen auch beim grünen Kartellrecht ganz genau hingesehen werden muss. Entscheidend ist nicht, ob eine Wettbewerberkooperation Bezug zu „Naturprodukten“, Tieren oder Landwirtschaft hat, sondern ob sie der Umsetzung von konkreten Nachhaltigkeitszielen dient und konsequent auf die Erreichung dieser Ziele ausgerichtet ist. Mit anderen Worten: nur weil es auf der Wiese spielt, ist es noch nicht „grün“.

Für die Entscheidung des BKartA, den Daumen über dieser konkreten Kooperation zu senken, dürfte dabei auch entscheidend gewesen sein, das im betroffenen Sektor bereits eine spezifische rechtspolitische Grundentscheidung für eine gezielte Privilegierung von Nachhaltigkeitskooperationen gefallen ist. Wenn aber eine Kooperation schon den Anforderungen einer solchen „Bereichsausnahme“ nicht gerecht wird, hat sie, so könnte man argumentieren, unter Geltung des allgemeinen Kartellrechts erst recht einen schweren Stand.

Im Ergebnis erscheint die Wertung der Behörde dadurch ebenso konsequent wie ihre Ansage, landwirtschaftliche Erzeuger dennoch „ermuntern und unterstützen“ zu wollen, wenn sie „mit Kooperationen ihre Position stärken wollen oder Nachhaltigkeitsziele verfolgen“. Dementsprechend habe auch der Agrardialog „jederzeit die Möglichkeit, […] ein Nachhaltigkeitskonzept vorzulegen, das nicht auf eine Preisabsprache zu Lasten der Verbraucherinnen und Verbraucher zurückgreift“. Das BKartA betont damit noch einmal seine in den letzten „grünen Fällen“ eingenommene Position.

Eine der spannendsten Fragen rund um das „grüne Kartellrecht“ bleibt so freilich weiterhin offen: Hätte eine solche Preisabsprache gerechtfertigt werden können, wenn die Unternehmen nicht nur Ziele (branchenorientierter) finanzieller Subsistenz, sondern (gemeinwohlorientierter) Sustainability, also echte Umwelt-, Tierwohl- oder sonstige Nachhaltigkeitsziele in ihrem Konzept verankert hätten? Und falls ja: wäre dies nur in den Grenzen des oben erwähnten „Agrarsonderrechts“ (Art. 210a) denkbar? Oder könnte eine solche Freistellung auch in anderen Branchen gelingen?

Wann diese Punkte sich rechtssicher klären, ist derzeit nicht abzusehen. Man darf aber damit rechnen, dass der Weg dorthin in Deutschland wie auch in Europa mit neuen spannenden Entwicklungen gepflastert sein wird – sowohl in der rechtspolitischen Diskussion als auch in der behördlichen Praxis.

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