Das Bundesarbeitsgericht hat in seiner Entscheidung vom 9. April – Aktenzeichen 10 AZR 637/13 – die Rechte von Schichtarbeitern im Falle einer gesundheitlich bedingten Unfähigkeit zum Leisten von Nachtarbeit gestärkt.
Dem Urteil lag der Sachverhalt einer Krankenschwester zugrunde, die arbeitsvertraglich zur Leistung von Nachtarbeit verpflichtet war. Aus gesundheitlichen Gründen war sie wegen einer medikamentösen Behandlung nicht mehr in der Lage, Nachtdienste zu leisten. Nach einer betriebsärztlichen Bestätigung dieser Nachtdienstuntauglichkeit wurde sie nicht mehr vom Arbeitgeber beschäftigt, obwohl keine vollständige Arbeitsuntauglichkeit vorlag. Alle arbeitsvertraglich geschuldeten Leistungen der Tätigkeit als Krankenschwester konnten von ihr verrichtet werden, allein der Einsatz in Nachtarbeit war ausgeschlossen. Die von ihr angebotene Arbeitsleistung nahm der Arbeitgeber wegen der Unfähigkeit zum Leisten von Nachtarbeit nicht an.
Nach dem Urteil des Bundesarbeitsgericht hätte die Klägerin weiterbeschäftigt werden müssen, weil der Arbeitgeber bei der Schichteinteilung auf das gesundheitliche Defizit der Klägerin hätte Rücksicht nehmen müssen. Ausschlaggebend dafür war die Auslegung des § 106 Gewerbeordnung, der dem Arbeitgeber bei der Ausübung seines Weisungsrechts auferlegt, Rücksicht auf die Interessen, hier insbesondere die Behinderungen eines Arbeitnehmers zu nehmen.
Die Sprecherin des BAG schrieb der Entscheidung eine „wegweisende Wirkung für alle Schichtarbeiter“ zu. Damit ist klar, dass das BAG hier keine Einzelfallentscheidung treffen, sondern Grundsätze festlegen wollte. Hier lässt sich zusammenfassen, dass der Arbeitgeber bei der Schichtverteilung Rücksicht auf Defizite des Arbeitnehmers zu nehmen hat, wenn der Arbeitnehmer
- weder arbeitsunfähig krank, noch ihm die arbeitsvertragliche Leistung unmöglich geworden ist,
- (im Übrigen) alle vertraglich geschuldeten Leistungen ausführen kann,
- seine Arbeit ordnungsgemäß anbietet und
- die Rücksichtnahme vom Arbeitgeber in Bezug auf die betrieblichen Gesamtumstände zumutbar ist.
Damit bleibt es bei einer Notwendigkeit zur Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls. Das grundsätzliche Recht des Arbeitgebers zur freien Zuweisung der Arbeitszeiten bleibt durch das Urteil unberührt. Die „wegweisende Wirkung“ der Entscheidung betrifft also allein die Rücksichtnahme des Arbeitgebers auf Defizite des Arbeitnehmers im Falle von Schichtarbeit und führt nicht zu einer generellen Einschränkung seines Weisungsrechts, die Arbeitszeiten festzulegen. Letztlich geht es auch hier um die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Zuweisung eines „leidensgerechten Arbeitsplatzes“. Wie die Interessenabwägung hier im Einzelnen erfolgen wird, muss die künftige Rechtsprechung herausarbeiten. Dies gilt beispielsweise für die Schwelle, ab der von einer fehlenden Möglichkeit zum Leisten von Nachtarbeit auszugehen ist. Auch stellt sich die Frage, ab wann dem Arbeitgeber die Beschäftigung von nur beschränkt einsetzbarem Personal unzumutbar wird, beispielsweise weil er zu zusätzlichen Einstellungen gezwungen wird.