Antigen-Schnelltests – Pflicht zum Test am Arbeitsplatz?

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1. ANTIGEN-SCHNELLTESTS ZUR SELBSTANWEUNDUNG

Seit Ausbruch der Corona-Panemie im vergangenen Jahr stehen Arbeitgeber bei der Organisation des Arbeitsalltags vor vielschichtigen Herausforderungen. Hierbei müssen sie wirtschaftliche Interessen, Gesichtspunkte des Arbeitsschutzes und der ihnen gegenüber ihren Mitarbeitern obliegenden Fürsorgepflichten immer wieder mit den berechtigten Interessen ihrer Mitarbeiter in Einklang bringen.

Inzwischen wurden erste Antigen-Schnelltests vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte für eine Selbstanwendung zugelassen. Hierbei handelte es sich zunächst um drei sog. „Nasal-Tests“, bei denen der Abstrich im vorderen Bereich der Nase („Nasebohren“) entnommen wird. Dies wird deutlich weniger unangenehm empfunden, als die Nasopharyngeal-Tests, bei denen Sekret tief aus dem Rachenraum durch die Nase und/oder den Rachen entnommen wird. Zudem sollen in Kürze hier auch Tests zugelassen werden, bei denen der Test mit einer Speichelprobe erfolgen kann („Spucktest“). Es wird erwartet, dass die Tests in Kürze im Handel für jedermann erhältlich sind und die Anzahl der zugelassenen Tests sprunghaft zunehmen wird.

Hier stellt sich nun für Arbeitgeber die Frage, ob derartige Tests für solche Bereiche zur Pflicht für die Mitarbeiter (auch außerhalb von „Hot Spot-Regelungen“) gemacht werden können, in denen eine Präsenz im Betrieb weiterhin unumgänglich ist. Ein Ausbruch von Coronainfektionen kann weitreichende Folgen für ein Unternehmen haben und die vorübergehende Stilllegung des gesamten Betriebes oder aber eines kritischen Betriebsteils auslösen. Hier wäre z.B. denkbar, an einem Tag der Woche einen solchen Test von allen Mitarbeitern zu verlangen und diesen nur bei „negativem“ Testergebnis den Zugang zum Betriebsgelände zu gewähren.

Bereits am 5. Februar 2021 wies in diesem Zusammenhang das Arbeitsgericht Offenbach einen Antrag auf einstweilige Verfügung eines Mitarbeiters ab. Dieser hatte im Eilverfahren den Zugang zu seinem betrieblichen Arbeitsplatz verlangt, der ihm zuvor durch den Arbeitgeber verweigert worden war, weil der Mitarbeiter nicht an einem PCR-Schnelltest zur Bestimmung einer möglichen Corona-Infektion teilnehmen wollte. Die verpflichtende Schnelltestung hatte der Arbeitgeber zusammen mit dem Betriebsrat eingeführt. Ohne auf die Zulässigkeit einer solchen betrieblichen Vereinbarung einzugehen, sah das Gericht im zu entscheidenden Fall die für eine einstweilige Verfügung vorausge-setzte Eilbedürftigkeit als nicht gegeben an. Offen blieb hier zunächst die Zulässigkeit des Vorhabens insgesamt.

2. ARBEITSRECHTLICHE BEURTEILUNG

Dem Arbeitgeber steht gem. § 106 S. 2 GewO ein Weisungsrecht nach billigem Ermessen in Bezug auf die Ordnung im Betrieb zu, soweit sie nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften näher geregelt ist.

Hinsichtlich der Billigkeit einer solchen Weisung kommt es – wenn keine der besagten Regelungen entgegenstehen – dabei auf eine Abwägung der Interessen im Einzelfall an.

Hierbei stehen sich die Interessen des einzelnen Mitarbeiters auf körperliche Unversehrtheit, Achtung seines Persönlichkeitsrechts, sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung und seiner Intimsphäre und die des des Arbeitgebers auf wirtschaftliche Betätigung sowie seine Schutz- und Fürsorgepflichten gegenüber allen anderen Mitarbeitern gegenüber.

Zumindest für den Fall, dass eine Tätigkeit zwingend in den betrieblichen Räumen des Arbeitgebers notwendig ist (z.B. Produktionsanlagen, Logistik-Abteilungen, Rechenzentren, etc.) und somit eine Arbeit aus dem Homeoffice von vornherein ausscheidet, halten wir auch eine generelle, verpflichtende Einführung von Coronaschnelltests für arbeitsrechtlich zulässig. So spricht für ein überwiegendes Arbeitsgeberinteresse vor allem der Umstand, dass andernfalls aufgrund der Art der Tätigkeit möglicherweise Mitarbeiter in einem geschlossenen Raum zusammenarbeiten müssen und daher ein gewisses Infektionsrisiko – auch unter Berücksichtigung bekannter Schutzmaßnahmen wie Masken- und Abstandspflicht – besteht. Die Maßnahme erfolgt dann vor allem zum Schutze der Mitarbeiter. Insbesondere wenn anstelle der bekannten Nasopharyngeal-Tests die zugelassen Alternativen zum Einsatz kommen sollen, bei denen der Mitarbeiter den Test selbst anhand seines Speichels oder aber durch Abstrich im vorderen Nasenraum vornehmen kann, ist der körperliche Eingriff minimal. Des Weiteren sorgt die wirtschaftliche Bedeutung des betroffenen Betriebs(-teils) für den Arbeitgeber und die Folgen einer ggf. notwendig werdenden zeitweisen Stilllegung für großes Gewicht des Arbeitgeberinteresses. Darüber hinaus besteht für die Mitarbeiter bei Vorliegen eines positiven Coronatests – in welchem Zusammehang auch immer – bereits jetzt eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht, dies dem Arbeitgeber mitzuteilen. Insofern führen betrieblich durchgeführte Coronaschnelltests zu keiner gesonderten Offenbarungspflicht für die Mitarbeiter.

3. DATENSCHUTZRECHTLICHE BEURTEILUNG

Datenschutzrechtlich muss bei einem Coronaschnelltest berücksichtigt werden, dass es sich bei der Auswertung des Tests um die Erhebung eines Gesundheitsdatums (wahrscheinlich infiziert/wahrscheinlich nicht infiziert) handelt. Auch wenn an die Zulässigkeit einer solchen Datenerhebung und -verarbeitung besonders strenge Anforderungen gestellt werden, dürfte sie in den oben geschilderten Fällen zulässig sein. § 26 Abs. 3 BDSG lässt eine solche Datenverarbeitung zu, wenn sie „zur Ausübung von Rechten oder zur Erfüllung rechtlicher Pflichten aus dem Arbeitsrecht, dem Recht der sozialen Sicherheit und des Sozialschutzes erforderlich ist und kein Grund zu der Annahme besteht, dass das schutzwürdige Interesse der betroffenen Person an dem Ausschluss der Verarbeitung überwiegt“. Gem. §§ 22 Abs. 1 lit. b., 24 BDSG ist zudem zum Zweck der Gesundheitsvorsorge und für die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit von Beschäftigten die Verarbeitung solcher sensibler Daten zulässig.

Wird zwar bei flächendeckenden Fiebermessungen schon in Frage gestellt, ob diese geeignet sind, Rückschlüsse auf eine mögliche Coronainfektion zu ermöglichen, kann eine verpflichtende Teilnahme hieran an der Erforderlichkeit scheitern. So sollen nach Ansicht des rheinland-pfälzischen Datenschutzbeauftragten die Möglichkeit der Anordnung von Home-Office oder das Angebot einer weitergehenden und damit auch aussagekräftigeren Untersuchung durch den Betriebsarzt als mildere Maßnahmen in Betracht gezogen werden und der Erforderlichkeit einer (anlasslosen) Fiebermessung entgegenstehen.

Bei „nicht-invasiven“ Antigen-Schnelltests zur Selbstanwendung muss diese Einschätzung unserer Ansicht nach anders ausfallen: Diese dienen gerade dazu, nicht nur (unspezifische) Symptome, sondern eine (hochwahrscheinliche) Infektion mit dem Coronavirus selbst zu diagnostizieren. Hierdurch scheiden Bedenken gegen die Geeignetheit solcher Tests von Anfang an aus.

Darüber hinaus sind diese Tests aus unserer Sicht auch als erforderlich im Sinne der gesetzlichen Regelung einzustufen. Mildere, gleichgeeignete Mittel sind nicht verfügbar, um Mitarbeiter und Kollegen jedenfalls in Bereichen, in denen eine Anwesenheitspflicht zwingend ist, gleich effektiv vor einer Infektion mit dem Coronavirus zu schützen. Insbesondere stellen sich die von Fachpersonal durchgeführten (dafür aber ein größeres Spektrum der Viruslast erfassenden) PCR-Tests nicht weniger eingriffsintensiv dar, weil diese einen Nasopharyngeal-Abstrich erfordern. Auch wenn Schnelltests nur eine Momentaufnahme sind und eine Infektion nicht vollständig ausschließen können, können sie einen wichtigen Beitrag dazu leisten, die bereits geltenden Hygiene- und Abstandsregeln zu ergänzen und das Infektionsrisiko weiter zu reduzieren.

Für diese Einschätzung spricht auch der Stellenwert, der den Antigen-Schnellstests in der politischen und wissenschaftlichen Diskussion für diverse „Öffnungsszenarien“ zukommt.

Wichtig ist in diesem Zusammenhang allerdings, dass es sich bei den erhobenen Gesundheitsdaten nur um punktuelle Datensätze handeln darf, die unmittelbar nach Vorlage vernichtet werden müssen und nicht gespeichert oder katalogisiert werden dürfen. Die Testergebnisse dürfen daher nur einmalig und ausschließlich für eine Einlasskontrolle – nur wer „negativ“ ist, darf in den Betrieb – verwendet werden. Arbeitgeber sind auch nicht gesetzlich verpflichtet, Gesundheits- oder Ordnungsbehörden Daten ihrer Beschäftigten im Hinblick auf einen COVID-19 relevanten Sachverhalt mitzuteilen. Ohne besondere behörliche Aufforderung ist hiervon daher zwingend abzusehen.

4. BETRIEBSVERFASSUNSGRECHT

Aus betriebsverfassungsrechtlicher Sicht ist bei Einführung von Coronaschnelltest in aller Regel das betriebliche Ordnungsverhalten betroffen, sodass ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats besteht.

Abgesehen davon, dass Betriebsvereinbarungen helfen können, die allgemeine Akzeptanz für die Schnelltests in der Belegschaft zu fördern, haben sie einen weiteren entscheidenden Vorteil: Sie können einen zusätzlichen Erlaubnistatbestand für die Datenverarbeitung schaffen.

5. KONSEQUENZEN FÜR DEN ENTGELTANSPRUCH

Aus arbeitsrechtlicher Sicht führt eine zulässige Weisung, vor Betreten des Betriebsgeländes einen Coronaschnelltest durchführen zu müssen, zu einer Folgepflicht der Mitarbeiter. Der Arbeitgeber kann den Zutritt zum Betriebsgelände daher verweigern. Kommen Mitarbeiter einer entsprechenden Weisung nicht nach und können sie ihre Arbeit deswegen nicht vertragsgemäß erbringen, steht ihnen in einer solchen Situation kein Lohnanspruch zu. Stattdessen machen sie sich unter Umständen gegenüber dem Arbeitgeber sogar schadensersatzpflichtig. Darüber hinaus können Arbeitgeber die rechtswidrige Arbeitsverweigerung abmahnen oder im Einzelfall (und ggf. nach Wiederholung) auch eine verhaltensbedingte Kündigung aussprechen.

Kommt es bei Befolgung der Anweisung hingegen zu einem positiven Testergebnis, ist zu differenzieren:
Bei einem symptomlosen Positivtest scheidet eine Arbeitsunfähigkeit dem Grunde nach aus. Stattdessen muss an sich eine Quarantäne- oder Absonderungsanordnung der zuständigen Infektionsschutzbehörde ergehen. Sofern insbesondere § 616 BGB arbeitsvertraglich wirksam abbedungen worden ist, besteht somit ein Entschädigungsanspruch nach Maßgabe von § 56 IFSG, für den der Arbeitgeber für die Dauer von maximal sechs Wochen in Vorleistung treten muss. Das Geld bekommt er anschließend von den Behörden erstattet.

Treten im Zusammenhang mit dem positiven Coronatest zusätzlich Krankheitssymptome auf, ist der Mitarbeiter hingegen regelmäßig arbeitsunfähig erkrankt. In einem solchen Fall hat er oder sie Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach § 3 EFZG.

In der Praxis wird diese Abgrenzung häufig nicht trennscharf vorgenommen und von einer Abeitsunfähigkeit ausgegangen.

Wenn sich der positive Schnelltest jedoch als falsch-positiv herausstellt, handelt es sich um eine freiwillige Freistellung des Arbeitgebers von der Arbeitspflicht. In einem solchen Fall besteht für den Mitarbeiter grundsätzlich ein Anspruch auf Annahmeverzugslohn. Die verbleibende Unsicherheit im Zusammenhang mit den Antigen-Schnelltests darf dann nicht zu Lasten des Mitarbeiters gehen.

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